Der Mann, der Golgatha fand

Prof. Dr. mult. Dieter Vieweger und das Biblisch-Archäologische Institut der Bergischen Universität

von Uwe Blass

Dieter Vieweger - Foto © UniService Transfer
Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, der Erkenntnisgewinn und das neu generierte Wissen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und sozialen Institutionen. Mit den „Bergischen Transfergeschichten“ zeigt die Bergische Universität beispielhaft, wie sich Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit in die Region einbringen, mit anderen Partnern vernetzen und die Gesellschaft so aktiv mitgestalten.

 
Der Mann, der Golgatha fand
 
Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger und das
Biblisch-Archäologische Institut
der Bergischen Universität Wuppertal
 
Er ist einer der renommiertesten deutschen Wissenschaftler im Heiligen Land. Drei Monate im Jahr arbeitet er in Wuppertal: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger. Hier leitet er das Biblisch-Archäologische Institut der Bergischen Universität, lehrt parallel an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel die Fächer Altes Testament und Biblische Archäologie sowie an der Privatuniversität Witten-Herdecke das Fach Archäologie. „Das ist vielleicht ganz überraschend“, sagt er, „in der Kirchlichen Hochschule lehre ich fast nur Theologie, also Altes Testament, und zwar deshalb, weil die Biblische Archäologie dort eine untergeordnete Rolle spielt. In Witten-Herdecke widme ich mich viel mehr archäologischen Fragen, ebenso den brisant aktuellen Problemen: ‚Wem gehört das Heilige Land?‘, ‚`Vom arabischen Frühling zum Herbst der Enttäuschung‘, oder: `Was wird aus Syrien – wer agiert wie im syrischen Bürgerkrieg?´“ Dreiviertel des Jahres beschäftigt sich der in Karl-Marx-Stadt geborene Wissenschaftler aber mit der reinen Archäologie; und zwar im Herzen von Jerusalem, in Tiberias am See Genezareth und im Nordwesten von Jordanien.
 
Schwerer Berufsstart in der ehemaligen DDR
 
Daß Dieter Vieweger jemals außerhalb der DDR arbeiten würde, hätte der heute 61jährige niemals für möglich gehalten. „Ich bin mit 16 Jahren aus politischen Gründen von der Schule geflogen. Danach war alles ganz schwierig. Ich habe keine Ausbildung bekommen, nicht einmal die Berufsausbildung zum ‚Brauer und Mälzer‘ in der kleinen Brauerei meines erzgebirgischen Heimatdorfes“, erzählt er frei heraus. In dieser Zeit habe ihn die Evangelische Kirche aufgefangen und eine abiturähnliche Schulausbildung in Moritzburg ermöglicht. „Es war ein `kirchliches Abitur´“, berichtet er und fügt schmunzelnd hinzu: „Ich habe dann später auch mein offizielles, staatliches Abitur bekommen. Im Jahr 1992 schrieb mir der sächsische Kultusminister, daß ich nunmehr ein Abitur hätte. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits Professor an der Humboldt-Universität in Berlin.“ Vieweger hatte Theologie an einer kirchlichen Hochschule in Leipzig studiert. „Ich habe nicht an einer staatlichen Uni studieren dürfen, und die Kirchliche Hochschule besaß natürlich auch kein Promotionsrecht. Allerdings hat mein Professor meine Arbeit an einen Kollegen der Karl-Marx-Universität Leipzig weitergegeben. Der einzige Tag, den ich jemals in der DDR in einem Unigebäude zugebracht habe, war meine Promotion – und kein Mensch hat es gemerkt!“ Seine Habilitation gestaltete sich noch schwieriger, die er ohne Venia Legendi (Lehrberechtigung) bekam, „weil ja die DDR davon überzeugt war, daß Menschen wie ich dem Sozialismus nicht gut tun würden (Recht hatten Sie!).“ Damit geht er ins Jahr 1989.“
 
Vom Pfarramt zur Humboldt-Universität
 
Vieweger arbeitet zunächst als Pfarrer beim berühmten Leipziger Thomanerchor, eine Arbeit, die ihn erfüllt. „Es war ein wunderbarer Beruf. Ich habe für die Kinder und Jugendlichen den kirchlichen Unterricht und im Sommer Freizeiten gestaltet – all das fiel mir leicht und gab mir die Genugtuung, Sinnvollem in der DDR nachzugehen.“ Nach der Wende wird er an die Humboldt-Universität berufen. Und dann geschah etwas, was seinem Leben noch einmal eine ganz andere Wendung gab. Der Theologe, der Bibeltexte prüfte und Sagen und Legenden nach deren geschichtlichem Kern befragte, wollte mehr über deren Ursprung wissen: „Was ist da wirklich dran an diesen alten Erzählungen? Ist das nicht doch nur ein großes Märchenbuch?“ Fragen, die sich nur beantworten lassen, wenn man neben der Textforschung auch die Alte Geschichte und die Archäologie mit einbezieht und am besten vor Ort arbeitet. „Und dann habe ich konsequent ein paar Dinge angepackt“, erklärt er. „Wenn ich im Heiligen Land arbeiten will, dann muß ich erst einmal ‚ganz normale Archäologie‘ erlernen. Ich habe mich an der Universität Frankfurt am Main eingeschrieben und Vor- und Frühgeschichte studiert. – Wie jeder Studierende habe ich jede Arbeit mitgeschrieben und in jedem Proseminar gesessen.“
 
Eine andere Herangehensweise an Biblisch-Archäologische Forschungen
 
Vieweger nimmt mit 34 Jahren ein Archäologiestudium auf. Mit 40 promoviert er über ein mittelbronzezeitliches Gräberfeld auf Zypern. Zu Lehren auf der einen und zu Lernen auf der anderen Seite, „war für mich sehr interessant“, erklärt er, „und das hat auch meine Art zu unterrichten deutlich verändert.“ Vieweger beschreitet neue Wege, um der Welt der Bibel auf den Grund zu gehen. „Ich wollte neben den biblischen Texten eine Basis finden, diese Zeiten und Erzählungen zu verstehen“, sagt er, „und dann habe ich angefangen auszugraben.“ Ausgehend vom Biblisch-Archäologischen Institut der Bergischen Universität, beginnt er 2001 mit den Ausgrabungen an einem Tell in Nordjordanien.


Der Tall Ziraà, Blick nach Osten 2011 © DIE/BAI
 
Der Tall Zirāʿa
 
„Wir haben uns einen Hügel mit einer 30 Meter Schuttschicht ausgesucht, der 5,6 ha groß ist. Dort liegen etwa 35 Städte geschichtet übereinander. Das nennt sich Tall. Wir finden oben auf der Oberfläche das Mittelalter und gelangen unten bis zur Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr.“, beschreibt er in Kurzform den Prozeß. Da es sich bei diesem Berg um einen Siedlungshügel mit Quelle handele, begeistert sich der Wissenschaftler, blieb die Lage der Stadt durch alle Zeiten erhalten und besiedelt. „Weil dort diese Quelle frisches Wasser lieferte, nutzten Menschen zu allen Zeiten den Tell als Wohnplatz. Das heißt, wir finden heute die gesamte Kulturgeschichte des Orients auf diesem einen Berg. Das gibt es nur sehr selten.“ In 18 Kampagnen, also einzelnen Ausgrabungszeiten, forscht sich das 70köpfige Team Viewegers zwischen 2001 und 2011 durch die gesamte antike Geschichte. „Von der Zeit, in der die Menschen überhaupt erst Städte gründeten, Mitte des 4. Jahrtausends, bis dahin, wo die alttestamentlichen Städte liegen (1. Jahrtausend v. Chr.), die persischen, hellenistischen, ja römischen (neutestamentlichen) Ansiedlungen über die byzantinische Epoche bis ins Mittelalter“, erzählt er, finde man Belege der großen Kulturgeschichte des Orients. Über das Geheimnis dieses Talls hat der umtriebige Wissenschaftler sogar ein Kinderbuch geschrieben. Die Schichtung der Städte vergleicht er dabei mit einem Spaghetti-Eis, durch das man sich über Schokostreusel, rote Soße bis zu Sahne und zum Vanilleeis durchgraben müsse.
 
Über seinen Entdeckereifer, der über allem steht, kann Vieweger heute schmunzelnd berichten, wobei jeder die Strapazen dahinter unschwer erkennen kann: „Wir sind zu Anfang mit dem VW-Bus von Wuppertal nach Amman (und zurück) gefahren, weil wir keinen festen Stützpunkt in Jordanien hatten und das ganze Grabungsgerät inklusive des sperrigen Geräts für die Geophysik mitnehmen mußten. Der Rekord war drei Tage und vier Stunden. Einer fährt, einer hält den Fahrer wach und einer schläft. Das habe ich fünfmal gemacht“, lacht er, „und dann hatte ich das riesengroße Glück, mit dem Institut in Jerusalem und Amman in Verbindung zu kommen. Dort brauchte man einen neuen Leiter – und nun bin ich seit 15 Jahren dort.“
 

Tall Ziraa, Areal II, 2008 © Reg81 / Quelle: Wikipedia

Leitender Direktor für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes
 
Seit 2005 ist Dieter Vieweger Leitender Direktor der Institute des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman. „Das war einer der größten Glücksgriffe meines Lebens“, freut sich Vieweger, dessen Institut auf eine Initiative Kaiser Wilhelms II. im Jahr 1898 zurückgeht. Ausgehend von der Annahme, daß unter der durch den deutschen Kaiser eingeweihten Erlöserkirche die Stadtmauer Jerusalems aus der Zeit Herodes d. Gr. (40 - 4 v. Chr.) zu finden sei, gründete dieser das Institut, in der Hoffnung, über archäologische Funde, die Stadt Jesu und den Felsen Golgatha zuzuordnen. „Das war dann – archäologisch gesehen – leider alles falsch“, erklärt Vieweger. „Hier hatte man den Wunsch zum Vater der Erkenntnis gemacht.“ Das will Vieweger unter keinen Umständen und sagt bestimmt: „Wenn ich im Heiligen Land grabe, kann ich nicht meine Ideen zum Ziel meiner Forschungen machen. Die Touristen und auch die Pilger wollen nicht belogen werden und die Wissenschaftler schon gar nicht.“ Wissenschaftliche Fehlurteile gebe es zur Genüge und führten dazu, daß man der Biblischen Archäologie misstraue, betont er. Das Institut stand zwischenzeitlich sogar vor der Schließung. Die Evangelische Kirche Deutschlands gab Vieweger aber die Möglichkeit, die Bedeutung dieser Einrichtung herauszustellen, was ihm schließlich gelang. Mittlerweile arbeiten 15 Mitarbeiter*innen in Jerusalem und Amman. „Es ist die eine Kultur dies- und jenseits des Jordan – die wir gemeinsam ausgraben“, berichtet er weiter. Stolz ist er auch über die Tatsache, daß sein Institut als einzige Institution sowohl in Jordanien als auch in Jerusalem gültige Grabungslizenzen besitzt. „Im nächsten Jahr graben wir sogar im A-Gebiet der palästinensischen Verwaltung. Das ist völkerrechtlich möglich“, erklärt er. Für diese Grabung hat er lange kämpfen müssen, denn die Palästinenser wollten nach ihrer ‚Anti-Normalization‘ genannten Direktive niemanden als Partner akzeptieren, der auch parallel mit den Israelis kooperiert. Viewegers Haltung ist da eindeutig. „Ich kann mich auf keine Seite stellen, sonst habe ich im langewährenden Konflikt verloren. Ich arbeite mit allen Wissenschaftlern, aber ich werde niemanden ausgrenzen. Und wenn das nicht geht, dann warte ich halt 15 Jahre. Ich habe Zeit, ich kann warten.“ Nun endlich darf er auch mit den Palästinensern nahe Bethlehem eine Grabung beginnen, möglicherweise dort, wo die Aquädukte nach Jerusalem ihr Wasser aufnahmen – also sozusagen im ‚Wasserwerk‘ der Stadt.
 
Das Institut hat sich entwickelt und ist mittlerweile zu einer grandiosen Einrichtung geworden. „Wir sind vor zwei Jahren von der israelischen Antikenbehörde evaluiert worden. Wie das amerikanische Albright-Institut sind wir den dortigen Universitäten gleichgestellt worden. In Amman ist unser Institut ebenso staatlich anerkannt worden. Wir sind als evangelische Einrichtung ein staatlich anerkanntes Institut in einem islamischen Land. Und dazu hilft uns auch die universitäre Basis in Wuppertal.“
 
Das Biblisch-Archäologische Institut in Wuppertal
 
Die Basis, den Anker oder den Rückhalt all seiner Tätigkeiten im Heiligen Land findet Vieweger im Biblisch-Archäologischen Institut in Wuppertal. Hier fließen die dringend erforderlichen Drittmittel und Spenden zusammen, die sich auf ca. eine Millionen Euro im Jahr belaufen. „Dieses Geld muß man transparent verwalten, es wird abgerechnet und jährlich geprüft“, erläutert er. Gleichzeitig werden damit natürlich auch Ausbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen ermöglicht. „Wir haben hier ein Promotionsrecht innerhalb der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität und können in diesem Rahmen selbst Habilitationen auf den Weg bringen. Das ist alles sehr kollegial und großartig. Und so können wir unseren Studierenden auch eine Zukunft anbieten. Auch Studierende aus Amman oder Jerusalem könnten hier ihre Abschlüsse machen.“
Vieweger pflegt die Kontakte zu den umliegenden Hochschulen, kontaktiert Stiftungen und bespricht sich mit den Fachkolleg*innen des Deutschen Archäologischen Instituts. „Nach drei Monaten fliege ich dann wieder nach Hause, nach Jerusalem.“
 

Tall Ziraa, Areal I, 2008 © Reg81 / Quelle: Wikipedia

Golgatha liegt unter der Grabeskirche
 
Zu Hause machte Vieweger dann auch die Entdeckung, die in zukünftigen Lehrbüchern stehen wird. Auf die Frage nach den spannendsten Entdeckungen in Jerusalem, sagt er: „Unter der Erlöserkirche, mitten in der Altstadt von Jerusalem, schlummert ein Riesenschatz: Golgatha.“
Vieweger und sein Team nahmen alte Grabungsarbeiten neben der Grabeskirche wieder auf. Eine alte Lizenz und ganz viele schwierige Genehmigungen erlaubten es ihm, direkt unter der Erlöserkirche zu arbeiten. „Wir haben die Kirche direkt unterhöhlt, denn sie steht auf 20 Säulen. Und wir haben dort etwas gefunden, was ich nie für möglich gehalten habe“ erzählt er begeistert: einen Steinbruch aus Herodes‘ d. Gr. Zeiten, einen byzantinischen Marktplatz – der sich um die Grabeskirche zog – und eine absolut starke Evidenz des langgezogenen Steinhügels Golgatha, den die antiken Quellen beschreiben.“
 
Doch man muß vorsichtig sein: „Die Archäologie kann keine Erzählungen beweisen, keine Ereignisse belegen – wir finden nur stumme Zeugen einer vergangenen Zeit. Den Felsen vor der Stadt – den auch die neutestamentlichen Erzählungen von der Kreuzigung voraussetzen – ist in der Ausgrabung eindeutig zu belegen – mehr nicht.“
 
„Jerusalem ist für Touristen und Pilger eine schwer zu verstehende Stadt: Sie denken, sie gehen durch die Altstadttore und befinden sich in der antiken Stadt. Weit gefehlt! Die ursprünglich vor fast 4000 Jahren gegründete Stadt liegt heute außerhalb, südlich der Altstadt. Im Laufe der Zeit ‚wuchs‘ Jerusalem bei Neugründungen nach Kriegen oder Erdbeben immer weiter nach Norden. Die heutige Altstadtmauer wurde erst in der Neuzeit – im 16. Jahrhundert erbaut. Aber da jede Generation von jüdischen, christlichen und muslimischen Pilgern in ihrem jeweiligen Jerusalem alle ihre Traditionen finden wollte, haben die Reiseführer und Mönche aller Zeiten, alle Erinnerungsorte problemfrei in ihre gegenwärtige Stadt ‚wachsen‘ lassen. So entstand das Grab Davids in einer mittelalterlichen Kirche und die Via dolorosa in einem zur Zeit Jesu noch außerhalb Jerusalem liegenden Gebiet ... Fast alle solche nachträglich benannten Orte sind ohne Anhalt an der Geschichte zu ihrem Platz gekommen. Allein mit dem Haram asch-Scharif (Tempelberg) findet man die Ummauerung der ehemaligen Tempelanlage Herodes d. Gr. und nahe der Erlöserkirche den Berg Golgatha. Alles aber tief, tief verschüttet – 14 m unter der Erlöserkirche und 17 m unter dem heutigen Niveau der Klagemauer, der Westmauer.“
 

Erlöserkirche Jerusalem © DIE/BAI

Grabungen auf dem Tempelberg sind verboten
 
Conrad Schick, Viewegers Vor-vor-vorgänger in Jerusalem, als sich das Institut in der Gründung befand, war der letzte, der auf dem Tempelberg graben durfte. „Schick hatte eine große Aura in Jerusalem.“ Vieweger weiß um die Aussichtslosigkeit neuer Grabungslizenzen auf dem Tempelberg und wertet stattdessen Schicks alte Forschungen mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus. „Wir wollen auch in 100 Jahren noch da sein. Deshalb beschränke ich mich auf das, was machbar ist, und es gibt so vieles zu erforschen. Wir sind schließlich in einem Durchgangskorridor zwischen Afrika und Eurasien. Zu allen Zeiten führten hier die Handelsstraßen zwischen Ägypten und dem Zweistromland Menschen und Handelsgüter, Ideen und Handwerker, Armeen und Marodeure durch das Land. Alle hinterließen hier ihre Spuren – Handelsgüter, Erfindungen und Einflüsse – ihren archäologischen Fußabdruck.“
 
Der Tourist ist der Archäologie Tod
 
Sein Institut fördert Artefakte aus der Zeit Herodes‘, Hadrians, und der Kreuzfahrer hervor, kann den Bau der Grabeskirche unter Konstantin nachvollziehen und eröffnet 2012 unter der Erlöserkirche ein Museum. „Sie können dort 14 Meter nach unten gehen. Und wir können den Besuchern zeigen, daß die wirkliche alte Stadt tief verborgen ist, daß sie normalerweise 14 m über der Zeit Herodes‘ d. Gr. daher laufen.“
 
Etwa 40.000 zahlende Besucher kommen jährlich unter die Erlöserkirche. Das Museum muß unterhalten werden. Zwei Volontäre sind ständig vor Ort, betreuen, führen Gruppen, erklären Mauern und Schichten – und reparieren. „Das kostet eine Menge Geld. Aber wir haben es jetzt jedes Jahr geschafft, einen kleinen Überschuß zu produzieren“, freut sich der leidenschaftliche Wissenschaftler, der dem überall hin kletternden und alles anfassenden Touristen nicht immer nur Positives abgewinnen kann.
 
Die Zukunft der Archäologie im Heiligen Land liegt in der Peripherie
 
„Ich denke, die große Zukunft der Archäologie im Heiligen Land, die liegt in der Peripherie, denn in Jerusalem ist schon sehr viel gearbeitet worden. Die Ergebnisse waren mehr als beeindruckend; es ist eine Menge herausgekommen, aber die Fläche ist zu limitiert“, erläutert Vieweger. „Es ist durch die letzten Jahre der große Pilgerweg aus der Zeit Herodes d. Gr. im Tunnelverfahren ausgegraben worden – selbst unter den Kellern der arabischen Häuser hindurch.“ Die darüber liegenden Schichten können also gar nicht sinnvoll dokumentiert werden. Und das sei nicht im Sinne des Erfinders.
 
Das archäologische Museum in Amman
 
Im Institutsableger Amman arbeiten Mitarbeiter an einem Kulturgüter-Schutzprojekt. Ein Wuppertaler Doktorand erstellte unter Viewegers Leitung eine Datenbank, die jüngst landesweit in Jordanien eingeführt wurde. „Es geht vor allen Dingen erst einmal um die Sicherung von Antiken“, sagt Vieweger, „man hat es bei den Aufständen in Ägypten oder auch im Irak gesehen. Es ist viel archäologisches Gut gestohlen worden. Manches war einzigartig. Vieles einfach tausendfach bekannt und gar nicht teuer. Aber der Schwarzmarkt heizt Diebstähle und Raubgrabungen an. Und das ist verheerend! Und wenn etwas bei den bekannten Auktionshäusern weiter ’verhökert‘ wird, dann muß der rechtmäßige Eigentümer den Nachweis führen, daß das Objekt ihm gehört. Also markieren, fotografieren, beschreiben wir den Inhalt des großen Archivs im Ammaner Zitadellenmuseum.“ Das ist eine Sisyphusarbeit für die Wissenschaftler in Amman. „Wir haben tausende Objekte und registrieren alles – vom Kochtopf bis zur Goldmünze – von einer Figurine zum hundertfach abgelagerten Krug. Die Datenbank arbeitet simultan in Englisch und Arabisch. Wir haben große Hoffnungen, damit Diebstähle zu verhindern – oder wenigstens geraubtes Gut wieder zurückbringen.“
 
Verloren geglaubte Schätze schlummern immer noch im Archiv
 
Bei der Aufarbeitung und Recherche in den Archiven des Museums tauchen auch verschwunden geglaubte Dokumentationen und

Tall Ziraa 2007, Funde Reg81 - Quelle: Wikipedia
Objekte wieder auf. „Wir haben auch Kalksteinfigürchen der Könige von Amman aus dem 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. gefunden. Einige waren ausgestellt – von den anderen wußte man eigentlich nichts. Wir graben also Ausgegrabenes wieder aus.“
 
Mit Schaufel und Hightech
 
Graben – das heißt auch schwitzen. Das Bild vom Pinsel trügt. Die Schubkarre, die Spitzhacke und die Kelle sind das Werkzeug der Wahl – und der Schweiß der Tüchtigen deren Lohn. Handarbeit und genaues Beobachten: So wird Archäologie noch lange bleiben. Doch die Technik hat Einzug gehalten – Geophysik – moderne Vermessung – archäo-botanische Untersuchungen – das alles gehört heute zum Standard.
 
Bei seinen Ausgrabungen arbeitet er heute papierlos. Alle Informationen landen sofort in einer Datenbank in Frankfurt/M, wo das Institut einen Server angemietet hat. Alle Daten können von zehn verschiedenen Mitarbeitern gleichzeitig bearbeitet werden. „Man findet jeden Tag tausende neue Objekte“, sagt er, „und dann braucht man die Akribie für jede Grabung, an der man zwei Monate gearbeitet hat, sie in den 10 kommenden Monaten auszuwerten. Dazu müssen aber alle Daten korrekt aufgenommen und in der Datenbank abgelegt werden. Das begeistert mich! Es ist ein aufregender Job und ich wüsste keinen schöneren.“
 
„Archäologie ist eine verdammt politische Angelegenheit“ (Wilhelm II.)
 
 „Die Archäologie ist eine verdammt politische Sache“, soll Kaiser Wilhelm II. einmal gesagt haben. Im Hinblick auf die Interpretation der Funde, gibt ihm Professor Vieweger da sicher recht. Aber auch das Umfeld ist nicht einfach zu verstehen. Der politische Konflikt ist zum Dauerbegleiter geworden. Viewegers Buch „Streit um das Heilige Land – Was jeder vom israelisch-palästinensischen Konflikt wissen muß“ geht gerade in die 7. Auflage.
 
Uwe Blass
 
Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger ist Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel, Gastprofessor für Archäologie an der Privatuniversität Witten-Herdecke, Leitender Direktor der beiden Institute des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman, Vertreter des Propstes in Jerusalem und Koordinator der evangelischen Bildungsarbeit in der Heiligen Stadt sowie Direktor des Biblisch-Archäologischen Instituts der Bergischen Universität.

Redaktion: Frank Becker