Der alte Mann (21)

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Der alte Mann und sein Hund
 
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Es war kalt geworden. Nach eher milden Wintertagen waren die Temperaturen gefallen und erinnerten die Menschen daran, daß in dieser Jahreszeit General Winter das Land besetzt hielt. Der alte Mann ging mit seinem Hund durch den Haxtergrund und hatte seine Handschuhe vergessen. „Natürlich“, dachte er. „Heute, wo ich sie gebraucht hätte, liegen sie zuhause auf der Heizung.“ Er seufzte. „Schön, wenn sie es wenigstens warm haben.“ Sein Hund liebte die Kälte und wälzte sich im Rauhreif, der noch auf den Wiesen lag. Der alte Mann schaute auf seine kalten Hände. „Wie gut, daß wir sie in die Taschen stecken können“, dachte er und steckte sie tief in die Taschen seines grünen Anoraks. Dort war es warm. Wie einfach das Glück zu finden war. Man steckte einfach die Hände in die Jackentaschen und schon waren sie geschützt. „Hoffentlich treffe ich heute niemanden, dem ich die Hand schütteln muß“, dachte der alte Mann, „dann muß ich die rechte wieder hervor holen und sie wird kalt.“ Er schaute seinem Hund nach, der übermütig über die eisbedeckten Pfützen sprang. Die Erde war gefroren. Wo vor einigen Tagen noch Schlammlöcher waren, ging man nun auf festen Boden und sackte nicht ein. „Zum Glück können wir unsere Hände auch warm hauchen“, dachte der alte Mann,  hielt seine Hände vor den Mund und hauchte sie schnell warm, bevor er sie wieder in den Taschen vergrub. Wie schnell das ging, wie gut durchdacht. Er kam gerade an einer Parkbank vorbei, die mit winzigen Eiskristallen besetzt war, als wollten sie sich dort ausruhen. Ihn fröstelte. Er zog den Reißverschluß seines Anoraks bis zum Halse zu. Die Hände waren sofort wieder kalt geworden und schmerzten. „Zum Glück können wir auch die Hände warm schütteln“ murmelte der alte Mann und schüttelte wild ausufernd seine Hände, als hätte er die Kinder des Waldkindergartens gesehen und würde allen zuwinken wollen. Er war auf alles vorbereitet. Schon bald kam der alte Mann am oberen Waldrand des Tonibogens vorbei, als er spürte, daß seine Nase lief. „Zum Glück können wir sogar die Nase hochziehen“, dachte er. „Was ist der Mensch gut ausgerüstet.“ Er zog zufrieden nicht nur seine Nase hoch, sondern streckte auch seine Hände in den Himmel, schüttelte sie und hauchte dann die Finger erneut mit dem Atem warm. „Und wenn das alles nicht mehr hilft“, dachte der alte Mann, „dann können wir auch noch klagen. Und wie der Paderborner klagen kann.“ Er erinnerte sich daran, was er immer als Kind gesungen hatte: „Ich sag es allen Wintern, ich tret´ euch in den Hintern.“ Er lachte. Sein Hund lief über den steif gewordenen Blätterteppich auf ihn zu und bellte ihn an, als hätte er eine gute Idee. Der alte Mann nickte und sagte: „Natürlich, und wenn das alles nicht mehr hilft, dann gehen wir zu Weyhers. Dort gibt es für dich einen Knochen und für mich so viel Kaffee und leckeren Kuchen, daß man sich gleich wie zu Hause fühlt.“ Der alte Mann streckte General Winter die Zunge raus und machte sich siegessicher mit seinem treuen Hund auf den Weg.
 

© Erwin Grosche 2020