„Davon glaube ich kein Wort!“

Wolfgang Pauli in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
Wolfgang Pauli in der Anekdote

 Von Ernst Peter Fischer

Der Pauli Effekt auf der Nachtseite
 
Noch einmal zu Wolfgang Pauli. Er agierte als Nachtmensch, was zum einen bedeutete, daß er kaum vor dem Mittag aus dem Bett kam, nachdem er am Abend zuvor lange in einer Bar gesessen hatte und dort seinen theoretischen Überlegungen nachgegangen war. Wenn er dann morgens – besser: mittags – im Institut erschien, konnte es vorkommen, daß er die bereits tätigen und rechnenden Kollegen mit den Worten begrüßte, „Guten Morgen, ihr Naturapostel. Ihr habt sicher nach den Prinzipien eures Schutzheiligen Rousseau gelebt, der doch so schön gesagt hat, `Zurück zur Natur. Auf die Bäume ihr Affen`“, was nicht stimmte und ihn auch nicht unbedingt sympathisch machte.
       Der Hinweis auf die Nachtseite von Pauli bedeutet zum zweiten, daß er zahlreiche Träume zu den Themen seiner Wissenschaft hatte, deren Inhalt er reiflich und ausführlich bedachte und mit deren Hilfe er versuchte, so etwas wie einen archaischen Hintergrund der Physik zu erkennen und zu erfassen, die er tagsüber so erfolgreich betrieb. In den Träumen offenbarten sich für Pauli auch ungewöhnliche Zusammenhänge zwischen der psychischen und der physischen Welt, die er selbst ungewöhnlich ernst nahm und die seine Freunde und Kollegen als „Pauli Effekt“ eher fürchteten oder beargwöhnten. Pauli selbst hat erzählt, wie er an einem Sommerabend in einem Straßencafé sitzt und über seinen charakterlichen Mangel an Mitgefühl für andere Menschen nachgrübelt, als plötzlich vor ihm ein parkendes Auto Feuer fängt. Das Ganze passierte in Zürich, also in der Stadt, in der auch der Psychologe C.G. Jung residierte, den Pauli wegen einer Neurose um Rat gefragt hatte. In der Typologie der Lehre von Jung wird das Gefühl mit der Farbe Rot gekennzeichnet, und auf diese wenig physikalische Weise verstanden Pauli und Jung zu ihrer Zufriedenheit, warum das Auto vor dem grübelnden Theoretiker in Flammen aufgegangen war.
      Physiker, die experimentell tätig waren und mit raffinierten Geräten Messungen vornahmen, verboten Pauli, sich in der Nähe ihrer Apparaturen aufzuhalten, wenn sie mit Messungen befaßt waren. Sie befürchteten einen negativen Einfluß seiner Psyche auf das Funktionieren der Maschinen. Tatsächlich konnte man das Versagen einer komplizierten Meßanordnung in einem Laboratorium in Göttingen nur dadurch erklären, daß sich die Explosion in dem Moment ereignet hatte, als Pauli, der auf dem Weg von Zürich nach Kopenhagen war, auf dem Bahnhof in Göttingen umsteigen mußte und sich für wenige Minuten dort aufhielt.
      Der Name „Pauli Effekt“ ist dabei von dem bereits erwähnten George Gamow geprägt worden, und zwar bei einem Seminar in Zürich, als der Physiker Walter Heitler eine (verrückte) Theorie vorstellte, mit der er die chemische Bindung zwischen Atomen erklären wollte. Nachdem Heitler geendet und auf seinem Stuhl Platz genommen hatte, erhob sich ein verärgerter Pauli. „Das ist lächerlich“, sagte er, „die Theorie stimmt sicher nicht für große und erst recht nicht für kleine Abstände zwischen den Atomen. Und nun gibt es eine an den guten Glauben der Physiker appellierende Aussage, die behauptet, daß diese Näherung, die falsch ist im Großen und falsch ist im Kleinen, trotzdem in einem Zwischengebiet qualitativ richtig sein soll.“ Und während Pauli dies sagte, war er erst langsam in Heitlers Richtung gegangen, um dann vor dem Physiker stehen zu bleiben und seinen Blick auf ihn zu richten. Und genau in diesem Moment krachte dessen Stuhl zusammen, und der Pauli Effekt war geboren – obwohl damals Gerüchte aufkamen, Gamow habe vorher an den Stuhlbeinen gesägt, um diesen Gag zu erzielen, was der Russe aber stets vehement und glaubwürdig bestritten hat.
      Seine Fähigkeit, als Zuhörer unerbittlich auf Schwächen oder Fehler bei einem Vortrag aufmerksam zu werden, hat Pauli schon als Knabe vorgeführt. Im Alter von 12 Jahren hat ihn sein Pate Ernst Mach, der berühmte Physiker aus Wien, einmal mit in eine Vorlesung des noch berühmteren Arnold Sommerfeld an der Universität in München genommen. Als Sommerfeld im Anschluß an seine Ausführungen den Knaben jovial fragte, ob er denn alles verstanden habe, antwortete der junge Pauli, „Ja, nur das nicht, was da oben links auf der Tafel steht.“ Sommerfeld schaute nach und mußte dann zu seiner Verblüffung feststellen und zugeben, „dort habe ich tatsächlich einen Fehler gemacht.“
 
 
© Ernst Peter Fischer
Aus: „Davon glaube ich kein Wort!“
Anekdoten und Geschichten aus der Welt der Wissenschaft
 Redaktion: Frank Becker