Der Mann, der sich für ein Genie hält

Philip Rucker / Carol Leonnig – „Trump gegen die Demokratie“ („A very stable genius")

von Robert Sernatini

Der Mann, der sich für ein Genie hält
 
Ein brandgefährlicher Mann im Weißen Haus
 
Was dem amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten fehlt, ist eine Bescheinigung, wie sie der Schwejk Josef in Jaroslav Hašeks Roman „Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války“ von den K.u.K. Gesundheitsbehörden ausgestellt bekam, nämlich die, „ein behördlich anerkannter Idiot“ zu sein. Manchmal fühlt man beim Anhören neuer Nachrichten aus den USA so hilflos gegenüber diesem cholerischen Riesenbaby Donald Trump, daß man sich wünscht, es sein nur ein überdrehter Roman, der sich da in aller Öffentlichkeit abspielt. Aber ist bitterer Ernst: Der vielleicht (noch) mächtigste Mann der Welt, der Kriege anzetteln und Wirtschaftskrisen auslösen kann, der die Macht hat, fatale Bomben auszulösen und der mit seiner Wirtschafts-, Klima- und Umweltpolitik jeden Tag aufs Neue die Welt ins Gesicht schlägt, ist echt. Ein geschminkter und toupierter Geck, der mit überlanger Krawatte prahlt: „Wer es lang hat, läßt es auch lang hängen“ regiert das Mutterland von Demokratie und Gleichheit. Das wird es bald nicht mehr sein, wenn es dem Twitter-Lügner, Maulhelden, brutalen Machtmenschen und Sexprotz Trump, der noch eine Liga höher als Harvey Weinstein spielt, gelingt, im kommenden November wiedergewählt zu werden. Die Zeichen dazu stehen nicht schlecht – aus seiner Sicht. Für die USA und die Welt wäre es hingegen eine Katastrophe, ein Desaster.
 
An warnenden Kommentaren fehlt es seit Jahren nicht, und es sind nicht nur politische Gegner, die gegen Donald Trump die Stimme erheben. Sogar frühere Kabinettsmitglieder und Funktionsträger der Trump-Administration, die er gefeuert hat (noch kein US-Präsident hat in seiner Amtszeit, ja schon in den ersten Wochen, so viele Mitarbeiter entlassen wie er) erheben öffentlich und in Buchform ihre warnende Stimme. Vor allem aber sind es liberale, unabhängige Journalisten, die notieren und publizieren, was Trump sich im Weißen Haus so alles leistet und wie stümperhaft und undiplomatisch er sein Präsidenten-Amt ausführt, als sei es nichts weiter als eine Fernsehshow. Umgeben von einer Phalanx blind ergebener Republikaner zerschlägt Trump pausenlos Porzellan und tritt alles mit Füßen, was Amerika bisher ausgemacht hat. Er beleidigt alles und jeden, der nicht auf seiner Schleimspur kriecht, verprellt Bündnispartner und löst durch unbedachte Entscheidungen fast täglich Krisen in aller Welt aus. Zugleich hat er Familienmitgliedern, die in der Politik nicht die geringste Erfahrung haben, lukrative und einflußreiche Posten zugeschanzt, aus der sich die Familie Trump hemmungslos bereichert. Ein Amtsenthebungsverfahren wegen Machtmißbrauch  scheiterte soeben, weil Trumps hörige Parteifreunde im Verfahren schlicht keine Zeugen zuließen, die den Präsidenten belastet hätten. Die Justiz wird manipuliert, nicht besser als in Polen und in Russland.
 
Ein neues und äußerst aufschlußreiches Buch - wahrlich nicht das erste - über Trumps Politik, Charakter und Geisteshaltung gibt nun die Antwort auf viele der Fragen, die sich die Welt angesichts dieses politischen Berserkers mit Diktatoren-Allüren stellt: „A very stable genius“ von Philip Rucker und Carol Leonnig, hochkarätige Journalisten der seriösen Washington Post und beide renommierte Pulitzter-Preisträger, „treten im Gewitter der täglichen Tweets und „News“ einen Schritt zurück, um die Amtszeit Trumps Schritt für Schritt zu rekonstruieren. Sie nutzen eine Fülle von neuen Details und Erkenntnissen, die sie aus Hunderten Stunden Interview-Material mit mehr als 200 Verwaltungsbeamten, Trump-Vertrauten und anderen Augenzeugen gewonnen haben, um entscheidende Muster hinter dem täglichen Chaos in der Regierung aufzudecken. Exzellent recherchiert und meisterhaft erzählt, lassen sie ein Bild von Trump entstehen, das uns besorgt stimmen sollte: Seine Versuche, das amerikanische System und die Demokratie zu unterlaufen, sind erfolgreicher als gedacht. In diesem Jahr geht es wirklich um alles.“, wie der S. Fischer Verlag zu der Faktensammlung schreibt, die Rucker/Leonnig in 25 Kapiteln und einem Epilog gewissenhaft aus Gesprächsprotokollen und O-Tönen aus dem Weißen Haus  zusammengetragen und belegt haben. Die Flut an Namen, Daten, komplexen Zusammenhängen und Details verlangt konzentrierte Lektüre, um nicht im Gewusel um Trump unterzugehen. Es hat wohl noch nie einen US-Präsidenten gegeben, der seine Administration derart rücksichtslos ausbeutet und Recht, Gesetz und Geheimdienste so schamlos für sich selbst verbiegt. Dieses Buch ist nicht geeignet, Bedenken zu zerstreuen oder in Ruhe dem Tagesgeschäft nachzugehen. In Washington regiert ein brandgefährlicher Mann, dessen Geistesgaben ganz offensichtlich nicht seiner Selbsteinschätzung genügen, „ein sehr ausgeglichenes Genie“ zu sein. Wer sich je mit Donald Trumps Körpersprache, Vokabular und Mimik, mit seinen innen- und außenpolitischen Entscheidungen und jetzt mit diesem Buch befaßt hat, sieht einen bösartigen, intriganten, verlogenen, dummen, wenn auch bauernschlauen Mann und muß zu dem Schluß kommen, daß von ihm Gefahr für die Welt ausgeht.
 
Philip Rucker / Carol Leonnig – „Trump gegen die Demokratie“
„A very stable genius“
Aus dem Amerikanischen von Martin Bayer, Karlheinz Dürr, Hans-Peter Remmler, Werner Roller, Karin Schuler, Violeta Topalova
© 2020 S. Fischer, 560 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, Anmerkungen, Namens-Register – ISBN: 978-3-10-397045-6
22,- €
Weitere Informationen:  www.fischerverlage.de