Fünfziger Jahre-Kitsch? - Wurscht!

„Lassie – Eine abenteuerliche Reise“ von Hanno Olderdissen

von Renate Wagner

Lassie – Eine abenteuerliche Reise
(
Deutschland 2020)

Regie: Hanno Olderdissen
Mit: Sebastian Bezzel, Anna Maria Mühe, Nico Marischka, Matthias Habich, Justus von Dohnány, Johann von Bülow u.a.
 
Gewiß, die „Lassie“-Geschichte spielt ursprünglich in Großbritannien, aber man hat die Collie-Hündin jedenfalls gedanklich dermaßen in der US-Entertainment-Kultur verankert, daß ihr Auftauchen in einem deutschen Film gelinde gesagt – überrascht. Es gab über diesen liebenswerten Hund, der 1943 erstmals in einem Roman auftauchte, nicht nur zahllose Filme (Elizabeth Taylor als Kind hat ihn umarmt), sondern auch eine schier ewige, in den Fünfziger Jahren beginnende amerikanische TV-Serie.
 
Ja, und in die Fünfziger Jahre fühlt man sich zurück geworfen, wenn man nun diesen deutschen Spielfilm sieht. Als sei die Zeit stehen geblieben, der Zeitgeist geronnen – und in einer irrationalen Pilcher-Fernseh-Mentalität gelandet, die man nur noch in den Nachmittags-Serien der Privatsender vermutet. Aber nein, damit will die Produktionsfirma „Traumfabrik“ in Babelsberg offenbar zurück in vergangene, romantischere Kinozeiten.
Da ist eine tragische Familienidylle: Vater und Mutter sind die denkbar liebevollsten Eltern ihres zwölfjährigen Sohnes Flo, und natürlich lieben sie auch dessen Collie-Hündin Lassie. Nun ist die Familie schwer unter Druck: Mama schwanger im letzten Stadium, Vater, ein offenbar meisterlicher Glasbläser, verliert seinen Job, weil der (edle) adelige Fabrikbesitzer tränenden Auges den Betrieb schließen muß. Man zieht in Untermiete zu einer ekelhaften Hausbesitzerin, die sofort verlangt, daß der Hund weg muß.
 
Die Tränen sind vorprogrammiert, in jeder Hinsicht, wenn Lassie zu dem Grafen „in Pension“ gegeben wird, der den Hund an die Nordsee mitnimmt, wo er von dem Hausmeister schlecht behandelt wird. Ja, und Lassie läuft davon, sucht sein Herrchen quer durch ganz Deutschland, es muß nicht glaubhaft sein, nur herzzerreißend tragisch – die Treue des Hundes, die Verzweiflung des Kindes, das echte Mitleid aller Beteiligten.
Und dann ist da noch die Enkelin des Grafen, die erst so sympathisch nicht wirkt, sich dann an der wirklich konfusen Lassie-Suche beteiligt (alle fummeln mit ihren Smartphones, aber konkret weiß man nie, wo der Hund jetzt ist und warum gerade da). Und schließlich muß ja noch die Firma, solides deutsches Traditionshandwerk, gerettet werden, die Familie außer dem Hund noch das Baby, eine neue Bleibe und den guten Job für Papa wieder bekommen. Es ist nicht so, daß das Drehbuch irgendein Klischee ausgelassen hätte.
 
Der Kitsch mit Hunde-Schönheit und Kinderleid wird von Regisseur Hanno Olderdissen routiniert angerührt, und man hat an Besetzung nicht gespart. Seltsam, wer sich für dieses allzu populäre Abenteuer, für das man sich in unserer zynischen Welt (heutige Kinder?) kaum ein Publikum vorstellen kann, hergegeben hat: Sebastian Bezzel, der nicht nur als Eberhofer, sondern auch in anderen Rollen seine Ecken und Kanten zeigt, als endlos verständnisvoller Papa; Anna Maria Mühe, die es im Fernsehen oft so anspruchsvoll gibt (als Tochter von Ulrich Mühe hat sie sowieso das Gen des ganz Besonderen), als geradezu triefende Mama; der oft so herbe Matthias Habich als edler Graf (gäbe es noch mehr solcher Unternehmer, die dann von einem reichen Sohn – Johann von Bülow – gerettet werden). Und Justus von Dohnányi schmiert ohne Hemmung eine treue, sentimentale Diener-Seele.
Da ist dann noch die nicht wirklich sympathische Grafen-Enkelin Priscilla (Bella Bading), die nette Zirkus-Artistin (Jana Pallaske) und die böse, böse Vermieterin (Sarah Camp). Man weiß immer, wer in diesem Film gut oder böse ist, und wenn jemand wie der Hausmeister Hinz (Christoph Letkowski) versucht, fies zu Lassie zu sein, dann landet der natürlich mit der Schnauze im Dreck, buchstäblich, Ehrensache!
Der junge Nico Marischka als Flo ist nett und sympathisch, aber nicht unbedingt Hauptdarsteller-Material (und wenn Lassie ihm übers Gesicht schleckt, scheint er das nicht wirklich zu mögen…) Ja, und Lassie. Die Medien-Berichte widersprechen einander, von nur einer Lassie ist die Rede, von drei Hunden, die besetzt gewesen seien, egal: Lassie ist echt, sie ist schön, klug, liebenswert, sie jagt geradezu durch den Film, und die Kamera fängt sie wunderbar ein. Da blendet man den ganzen Fünfziger Jahre-Kitsch rundum aus und freut sich an der Schönheit des Tieres.
 
 
Renate Wagner