Ein Jahrhundert Mode

Jim Heimann + Alison A. Nieder – „20th Century Fashion. 100 Years of Apparel Ads“

von Frank Becker

Titel: Revlon, 1964
Die Mode des 20. Jahrhunderts
in der Werbung
 
Ein kompakter Überblick
in der Bibliotheca Unversalis
 
New customs / Though they be never so ridiculous /
Nay let `em be unmanly, yet are follow´d.
(William Shakespeare, Henry VIII.)
 
Der Mensch war schon immer einem Diktat der Mode unterworfen, denken wir nur an die Form und Höhe von Kopfbedeckungen, die sich bei denen Herren vor allem im 18. und 19. Jahrhundert zu aberwitzigen Höhen aufschwang, bei den Damen, nehmen wir das Beispiel englischer Creationen, wie sie bis heute in Ascot und bei den Royals zu bewundern sind. Die Mode war aber auch oft in gewissem Maß Revolution mit zum Teil einschneidenden gesellschaftlichen Folgen, zumal im Bereich der Frauenmode. Nach dem Verzicht auf das Folterinstrument Fischbein-Korsett und dem Aufschrei „Mein Hüfthalter bringt mich um!“ wurde der Slogan „Baby burn your bra“ zum Fanal der Women´s Liberation der 1960er Jahre. Womit wir im 20. Jahrhundert sind.
 
Die Erfindung der Bügelfalte, die Krinoline des 16. Jahrhunderts, die im Petticoat der 1950er Jahre ihre weit hübschere Renaissance erfuhr, Christian Diors A-Linie, H-Linie, Y-line etc., Rudi Gernreichs Monokini und Mary Quants Minirock, Astronauten-Look, Hüftjeans, Schlaghosen mit Falte und Kettchen, Plateauschuhe, der Siegeszug vom ursprünglichen Arbeitsdrillich, der als Jeans zum gesellschaftstauglichen Modeartikel wurde – alles Erscheinungen, die im vergangenen Jahrhundert stets für frischen Wind und gute Geschäfte auf dem Modemarkt gesorgt haben. Was vor der Erfindung der Massenkommunikation nur durch einschlägige Gazetten oder öffentliche Auftritte an Neuerungen der Mode verbreitet werden konnte, erfuhr im 20. Jahrhundert zunächst durch Schaufenster, dann knallbunte Presse und Illustrierte Zeitschriften, später durch Kino-Filme- und Wochenschauen, in der Folge durch das Fernsehen und schließlich explosionsartig durch das Internet weltweite Verbreitung.
 

Interwaven Socks 1945 - Lee Workwear 1946


George Petty für Jantzen Knitting Mills 1940

Die Werbung rüstete auf und setzte – bis auf den Tag – die Konsumenten einem medialen Trommelfeuer aus, dem man nie und nirgends entgehen kann. Die Mode-Experten Alison A. Nieder und Jim Heimann haben in ihrem mit 589 Seiten nicht eben schmalen Band „20th Century Fashion“ aus Heimanns Sammlung Werbung aus überwiegend amerikanischen Zeitschriften von 1900 bis 1999 zusammengetragen, die aber durchaus weltweit gültig den Mainstream der Mode-Entwicklung jenes Jahrhunderts abbildet.
Wir picken uns als Zeitzeugen für diese Buchempfehlung allerdings Beispiele der späten 1940er bis 1970er heraus, die meines Erachtens in Mode und medialer Präsentation durch ihren Ideen-, Formen- und Farbenreichtum das Bild des 20. Jahrhunderts am nachhaltigsten geprägt haben.


Avondale Cotton 1959

In der Herrenbekleidung läutete Konfektionsware das Ende des Maßanzugs ein, schon lange bevor Hawaiihemden oder hautenge Jeans nach dem 2. Weltkrieg in Mode kamen, Oberhemden markierten Status, Hüte wurden kleiner und verschwanden schließlich von der Bildfläche, Unterhosen (die Unaussprechlichen!) wurden beworben und mutige neue Schnitte wie der Nehru Anzug kamen und gingen sang- und klanglos. Filmstars (David Niven), Pop-Musiker (Sammy Davis) und -Künstler (Joseph Keno kopierte Heinz Edelmann) und andere Prominente wurden Trendsetter.
 

Catalina Swimwear 1961


Cotton Producers 1968 - 1967

Brillen für Damen wurden chic, Kleider schwelgten im Farbenrausch, doch es dauerte noch bis weit in die 60er, bis die Mode den Damen erlaubte, endlich Abschied von der Wespentaille, Hüfthaltern  und den „Bullet-Bras“ zu nehmen, die sich in den 50ern markant in den Stoßstangen des Chevrolet Bel Air wiederfanden. Nackte Haut, Erotik und Sexualität - auch durch den Einsatz der seit WW II klassischen Pinups (z.B. George Petty, s.o.) in der Werbung wurde gesellschaftsfähig, ja prägte vor allem die 60er, sogar in den prüden USA. Sogar ein wenig Blasphemie (Jesus Jeans) konnte sich einschleichen.
 

Twiggy für Clopman Mills 1968

„20th Century Fashion“ ist zu einem unerhört günstigen Preis zugleich eine vergnügliche Modereise durch ein Jahrhundert, das wohl als erstes eine lückenlose Dokumentation erfuhr, und ein Abbild der sich verändernden Gesellschaft. Wir erleben US-Patriotismus, die Öffnung nach Europa und seinen Trends sowie die Akzeptanz lockerer europäischer Moral
Eine ausführliche Einleitung und eine bebilderte Zeitleiste zeigen Modemacher und Trendsetter auf und veranschaulichen, wie die geschichtlichen Ereignisse, die Modehäuser, der Einzelhandel, aber auch Filme, Zeitschriften und Prominente wie Twiggy den Stil bestimmen, in dem wir uns kleiden – damals wie heute. Ein Index hilft beim Auffinden von Marken und Modehäusern. Eine Empfehlung der Musenblätter.

 
Jesus Jeans 1976
 

Jordache Jeans 1979 - Kappa Menswear 1976 

Die Autorin
Alison A. Nieder ist seit 1985 im Mode-Business tätig, in Verkauf und Produktion ebenso wie als Modejournalistin. Sie arbeitet als Executive Editor bei California Apparel News, einem Fachmagazin der Mode- und Textilindustrie der amerikanischen Westküste.
Der Herausgeber
Kulturanthropologe und Grafikdesign-Experte Jim Heimann ist Executive Editor bei TASCHEN in Los Angeles. Er ist Autor zahlreicher Bücher über Architektur, Popkultur und die Geschichte der amerikanischen Westküste, insbesondere Los Angeles und Hollywood. Seine einzigartige Privatsammlung von Kuriositäten war schon in Museen der ganzen Welt und in vielen seiner Bücher zu bewundern.
 
Die Mode übt ihren Einfluß nicht bloß auf Hüte und Röcke,
sondern auch auf das, was darunter ist.
(Johann Jakob Mohr)
 

Wyenberg Massagic Shoes 1972

Jim Heimann + Alison A. Nieder – „20th Century Fashion. 100 Years of Apparel Ads“
Bibliotheca Universalis
© 2019 Taschen GmbH, 589 Seiten, gebunden, Fadenheftung, Schutzumschlag, 15,1 x 19,5 cm,  Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch – ISBN: 978-3-8365-2279-3
15,- €
Weitere Informationen: www.taschen.com