Dokumente der Foto-Geschichte

Manfred Heiting / Terence Pitts – „Edward Weston“

von Frank Becker

Dokumente der Foto-Geschichte
 
Die Fotografie Edward Westons
 
Als Fotografen noch Lichtbildner waren, entwickelten sich in Europa, namentlich in Deutschland, sowie in den USA Schulen, die Foto-Künstler von so hohem Rang hervorbrachten, daß deren Namen bis heute Weltgeltung und Nachhall haben. Uns geht es hier und jetzt um den amerikanischen Fotografen Edward Weston (1886-1958), der neben seinem Lehrmeister Alfred Stieglitz und den Kollegen Ansel Adams, Imogen Cunningham, Leonard Freed, Paul Outerbridge, Walker Evans und Wynn Bullock mit seiner Sinnlichkeit und „Straight Photography“ zu diesen maßgeblichen Lichtbildnern dieser Zeit gehört.
 
Der Verlag Taschen GmbH zeigt in einer großen, sorgfältig zusammengestellten Auswahl, die einige seiner markantesten Werke, Ikonen der modernen Fotografie vorstellt, einen von Manfred Heiting ausgewählten beispielhaften Ausschnitt des Lebenswerks Edward Westons, von dem der Klappentext des Verlags sagt: „Nur wenige Fotografen haben ein solches Erbe hinterlassen wie Edward Weston. Weston war ein fotografisches Naturtalent, dessen Arbeiten, bereits ein Jahr nachdem er mit 16 seine erste Kamera geschenkt bekommen hatte, im Art Institute of Chicago ausgestellt wurden.“ Beiträge von Ansel Adams und Terence Pitts geben einen tieferen Einblick in Westons Arbeit und Leben.
 
Kenner von Edward Westons Werk denken sicher sogleich an seine einzigartigen Studien von Muscheln/Seeschnecken aus dem Jahr 1927, die durch ihre fragile Transparenz und Eleganz bestechen, an die detailverliebten geradezu sinnlichen Aufnahmen von Kohlblättern, Paprikas, Auberginen, Rettich und Chinakohl, an die Bilder von Felsformationen, Treibholz, Totholz und Baumwurzeln und -segmenten, und an die Aufnahmen des Stillstands amerikanischer und mexikanischer Landschaften, gleich ob in der Weite des vergessenen Mittelwestens, in New Mexico, Louisiana, Illinois, im Death Valley oder in den Wüsten des Westens und Südens. Nach offenbar vom expressionistischen Film beeinflußten Anfängen 1920/21 fertigte Weston Stilleben von zerbrochnen Fenstern, Bettpfannen und Toilettenschüsseln, von Gemüse, einem Eierschneider oder Filmkulissen an, arrangierte oder hielt Vorgefundenes fest. Die Unschärfe seiner frühen Portraits wurde von der bestechenden Genauigkeit der späteren Studien abgelöst. Stets beeindruckt der präzise Blick der Schwarz/Weiß-Fotografien, locken die Perspektiven den Betrachter zum Vergleich, springt das Schweigen der Bilder auf den Betrachter über.


Edward Weston - Shell, 1927


Edward Weston - Cabbage, 1931

Das Thema „Mensch“ ist eine andere unerhört wichtige Facette der Arbeit Edward Westons. Seine Portraits von Robinson Jeffers, Harald Kreutzberg, Rose Roland, Willard van Dyke und vielen anderen mehr sind Dokumente. Mehr noch als diese haben sich Westons (nicht unbedingt immer gelungenen) Aktfotografien, im kollektiven Gedächtnis ihren Platz erobert. Berühmt sein weiblicher „Akt“ (1934), der auf den Titel der hier vorgestellten Monographie gestellt wurde: pur und ungeschminkt, ohne Glamour. Kaum weniger bekannt sind der provokante liegende Akt (1923) auf Seite 63, seine sitzenden Akte von 1934 und 1936 sowie der 1935 entstandene Torso (S. 87). Auffällig ist, daß den naiv unbeholfen wirkenden Akten im Wüstensand von 1936 (immerhin 13 Jahre nach dem unten abgebildeten Klassiker) jegliche Erotik fehlt, die aber in den Bildern von Kohlblatt, Paprika, Chinakohl und Rettich schier explodiert. Zweifelhaft, ja befremdlich wirken die Kinderakte Neil von 1922, die heute wegen ihres expliziten Blicks zur Strafverfolgung führen würden.
 

Edward Weston - Nude, 1923

In der langen Reihe von Publikationen zu Edward Westons fotografischem Werk nimmt der Band von Heiting/Pitts, auch durch das Zeitzeugnis von Ansel Adams, einen der vorderen Plätze ein.
 
Der Herausgeber
Manfred Heiting lebt als international anerkannter Designer, Kurator, Foto- und Buchexperte und -sammler in Malibu und Brüssel. Er ist Gründungsmitglied des J. Paul Getty Museum Council und seit 2016 UCLA Dinstinguished Lecturer in the Humanities. Er ist Herausgeber und Designer von Deutschland im Fotobuch, The Soviet Photobook, The Japanese Photobook und Mitherausgeber und Designer von Autopsie: Deutschsprachige Fotobücher 1918-1945.
Der Autor
Terence Pitts war Executive Director am Cedar Rapids Museum of Art, Iowa, und hat zahlreiche bedeutende Ausstellungen über historische und zeitgenössische Fotografie organisiert.
 

Edward Weston - Eggs and Slicer, 1930

Manfred Heiting / Terence Pitts – „Edward Weston“
Mit Beiträgen von Ansel Adams und Terence Pitts
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
© 2017 Taschen GmbH, 252 Seiten, Klappenbroschur, 21 x 27,5 cm – ISBN: 978-3-8365-6450-2
20,- €
 
Weitere Informationen: www.taschen.com