Blues-Crossover mit Hindernissen

Willie Nelson und Wynton Marsalis versuchen gemeinsam den Blues

von Frank Becker
...konnten zusammen nicht kommen

Country-Poet und Outlaw-Legende Willie Nelson und der elegante Star-Trompeter Wynton Marsalis gemeinsam auf einem Album? Erst zuckt man zurück, dann runzelt man die Stirn, schließlich fällt einem ein: so unmöglich das damals ebenfalls klang - auch die gemeinsame Pop-Produktion mit Julio Iglesias "To All The Girls I Loved Before" hat vor etlichen Jahren geklappt. Schrecklich schmalziger Kitsch zwar, aber dennoch ein toller Ohrwurm und ein Welthit. Bekommt man nun auch Jazz und Country unter einen Western- Hut? Immerhin haben beide Genres einen gemeinsamen Nenner: den Blues. Und den haben Nelson und Marsalis hier ins Auge gefaßt. Also hören wir mal hin.

Bei der Auswahl der Stücke für ihre gemeinsame Produktion sind die beiden Stars bei dem riskanten Unterfangen wahrlich kein Risiko eingegangen. Ausschließlich bewährte Standards leuchten uns von der Titel-Liste entgegen, einige davon von Willie Nelson bereits auf anderen Alben getestet, wie z.B. "Stardust" und "Georgia On My Mind". Was soll also schief gehen? Unter dem Strich natürlich nichts, denn hier haben Vollblut-Profis ein klinisch reines Produkt abgeliefert. Sicher haben sie auch gehörigen Spaß miteinander gehabt und eine Menge guter Musik gemacht. Doch bei allem guten Willen und eingesetzter Perfektion: es geht nicht.
Das ist wie die Geschichte von der Stadtmaus und der Landmaus. Der eine hat den Blues in der Stimme und tief in seiner Natur - das ist eindeutig Willie Nelson. Der andere ist ein ganz vorzüglicher Trompeter, aber Äonen entfernt von den Intentionen des Albums, das vor begeistertem Publikum live aufgenommen wurde. Viel dichter dran sind da Mickey Raphael an der Mundharmonika und Pianist Dan Nimmer.

Die hervorragende Band gibt dem Projekt das eigentliche Rückgrat. Dan Nimmer hat den Boogie ebenso in den Fingern wie  gläserne Eleganz z.B. in "Stardust", Carlos Henriques zupft und slappt seinen Kontrabaß beseelt und Walter Blanding steht mit dem Saxophon im intimen Dialog mit Wynton Marsalis´ Trompete. Die hat alles, was man von erstklassigem Jazz erwarten kann, aber eben nicht den Blues - der muß von innen kommen. Bei Nelson tut er das, sein spröder, anrührender Vortrag ist eine Offenbarung. Natürlich hat Marsalis auch seine Hausaufgaben gemacht, wie er u.a. im "Basin Street Blues" mit einer Verneigung vor dem Genie eines Louis Armstrong zeigt.

Auch hier wie in "Rainy Day Blues" ist Micky Raphael der eigentliche "Blues-Man" an der Seite der atmosphärischen Steel-Strings Nelsons. Niemand wird jemals an der unvergleichlichen
Interpretation des "Georgia On My Mind" kratzen können, die Ray Charles unsterblich gemacht hat, Willie Nelson gelingt immerhin eine achtbare Annäherung. Und wenn Wynton Marsalis in "Ain´t Nobody´s Business" dann doch noch den Blues spielt (aber singen kann er wirklich nicht), während Nelson versonnen die Saiten zupft und ihm zeigt, wo Bartel den Blues-Most holt, bleibt das Ganze trotz zweier musikalischer Welten, die nicht recht zusammenkommen können, unter dem Strich ein ganz nettes Album, dessen Drummer Ali Jackson im Schlußtitel "That´s All" noch mal ordentlich die Sticks fliegen läßt.

Beispielbild

Willie Nelson + Wynton Marsalis

Two Men with the Blues


Willie Nelson  -  Gesang, Gitarre
Wynton Marsalis  -  Gesang, Trompete
Walter Blanding  -  Saxophon
Mickey Raphael  -  Mundharmonika
Dan Nimmer  -  Klavier
Carlos Henriquez  -  Kontrabaß
Ali Jackson  -  Schlagzeug

Produziert von "Jazz at Lincoln Center"

(P)+ © 2008 Blue Note - EMI

Titel:
1. Bright Lights, Big City   5:20
2. Night Life   5:44
3. Caldonia   3:25
4. Stardust   5:08
5. Basin Street Blues   4:56
6. Georgia On My Mind   4:40
7. Rainy Day Blues   5:43
8. My Bucket´s Got A Hole In It  4:56
9. Ain´t Nobody´s Business   7:27
10. That´s All   6:08

Gesamtzeit:  53:32

Weitere Informationen unter:
www.bluenote.com
www.wyntonmarsalis.org
www.willienelson.com