Ein weiterer witziger Blick in die Kinderstube von Lucky Luke

Lucky Luke - „Volle Fahrt voraus“

von Andreas Rehnolt

© Egmont / Ehapa
Ein weiterer witziger Blick
in die Kinderstube von Lucky Luke
 
Der inzwischen 98. Band der Abenteuer des Kultcowboys mit dem Titel zeigt wieder zahlreiche Szenen aus den Kindheitstagen des Helden im Wild-West-Örtchen Nothing Gulch
 
Von Andreas Rehnolt
 
Volle Fahrt voraus“ ist der Titel des 98. Bandes der Abenteuer von Kultcowboy Lucky Luke, der jetzt im Ehapa-Verlag Berlin erschienen ist. Der 45seitige herrliche Band zeigt auf dem Cover den kleinen Lucky Kid, Sekunden bevor er mit Pferd-Freund Jolly Jumper im Kanu (mit Friedenszeichen) und den Betrachter anlächelnd einen Wasserfall herunterfällt. Der gefleckte Schimmel schaut in den Abgrund, hat einen Schweißausbruch und Panik in den weit aufgerissenen Augen.
Die Rahmenhandlung ist eine Geschichte, in der Lucky Kid mit dem alten Sheriff Elias vom Wild-West-Örtchen Nothing Gulch einen Pferdedieb in die Stadt bringt, wo der Galgen auf ihn wartet und der Sheriff den Mann schließlich laufen läßt, als er erfährt, daß der sich das Pferd des Nachbarn nur ausgeliehen hat, um den Arzt aus dem nächsten Ort zu holen, weil eines seiner Kinder schwer erkrankt war. „Gerechtigkeit steht bei mir über dem Gesetz“, so Sheriff Elias.
Später, als Luke groß ist, trifft er mit einem kleinen Dieb auf den damaligen Pferde-Ausleiher, der Jura studiert hat und Richter geworden ist. Der verurteilt den Dieb zu einem Monat Gefängnis und fünf Dollar Strafe. „Außer bei Mord gibt es von nun an nur noch Geldbußen und Gefängnis. Den Galgen lassen wir mal ein wenig beiseite“, so der Richter augenzwinkernd zu Lucky Luke. 
 
Der neue Band ist jetzt im Handel zu bekommen und kostet in der einfachen Ausgabe 6,90  Euro. Für Text und Zeichnungen ist Achdé verantwortlich, der sich auch mit dieser Geschichte auf den legendären und unvergessenen Luke-Zeichner und -Texter Morris (1923-2001) bezieht. Und so gibt es für alle Fans des kleinen Nachwuchs-Cowboys, der auf der Cover-Rückseite natürlich schneller seine Stein-Schleuder zieht, als der eigene Schatten, wieder zahlreiche herrlich schräge Wildwest-Kurzgeschichten mit wunderbaren Einblicken in die Kinderstube von Luke.
Verschwiegen wird auch diesmal nicht, daß der kleine Held zwischendurch nicht immer nur der brave Lucky Kid war, sondern seine resolute Tante Martha und andere in Nothing Gulch durchaus in Wut und Rage versetzen konnte. Allerdings immer mit dem für ihn typischen Charme und stets ohne bösen Willen. Köstlich seine meist nur eine Seite langen Erlebnisse mit den Spielgefährten Billy Bad, Joannie, Dopey, dem Indianerjungen Kleiner Kaktus, Lisette (der späteren Calamity Jane) und dem mexikanischen Freund Paquito. 
 
Gleich zu Beginn zieht er seine Korken-Pistole und erklärt: „Wenn ich groß bin, werde ich Lucky Luke!“. Er stellt sich vor, allen Naturgewalten zu trotzen, siegreich gegen alle feindlichen Indianer  zu kämpfen, Grizzly-Bären im Zweikampf zu besiegen und jeden Kampf mit jedem noch so schlimmen Revolverhelden zu gewinnen und gegen die größten Schurken der USA zu kämpfen. Dann platzt die Traumvision, weil Tante Martha übel drauf ist, da sie ihn bereits seit einer Stunde zum Essen ruft.
Ein Tag in der Schule mit Sätzen zu den Konjugationen: Zum Futur des Hilfsverbs „werden“ sagt Kid völlig korrekt: „Der sechsschüssige Colt wird dem tolpatschigen Averell aus dem Holster rutschen.“ Ein gigantischer Rülpser nach einem gemeinsamen Essen mit seiner Angebeteten Mitschülerin Joannie Molson bringt ihm ein blaues Auge ein, der Versuch seines Cowboy-Freundes, ihn neu einzukleiden, läßt ihn wie eine kleine Vogelscheuche aussehen, und die erste Nacht bei einer Herde in der Prärie erweist sich als Abenteuer. Und auch sonst geschieht so einiges: Schulfreund Billy Bad, hat Whiskyreste seines Vaters zusammengeschüttet und mit Schießpulver, rotem Pfeffer und Vaseline (Geheimrezept seines Vaters) gemischt, was nach einer Explosion in der Praxis des stets betrunkenen Doc endet. Lucky Kid verändert das Aussehen eines per Steckbrief gesuchten Räubers und plötzlich steht eben der genauso hinter ihm wie er ihn verzeichnet hatte.
Das Hufeisenspiel wird zelebriert und ein deutlich an US-Präsident Donald Trump erinnernder Mann namens Rattlesnake baut eine Mauer, um Nothing Gulch vom Lager der Indianer zu trennen, von denen er sagt: „Die sind nicht wie wir, die sind nicht zivilisiert“. Als dann ein Nager sich von der Indianerseite unter der Mauer durch gräbt, verlängert er die über sechs Meter nach unten. Und dann erfährt man noch, daß Mauern noch nie Menschen aufgehalten haben. Sowohl die Chinesische Mauer als auch der Römische Limes wurden überwunden.
 

Auf fast jeder Seite gibt es am unteren Rand zwei, drei Sätze zu Historischem aus dem Wilden Westen. Daß etwa die Arbeit des Leichenbestatters fast so wichtig war, wie die des Arztes, weil er verhinderte, daß sich Krankheiten rasch weiterverbreiteten. „Nicht umsonst liegen die Friedhöfe immer weit vom Stadtzentrum entfernt.“ Oder daß bei den Mücken nur das Weibchen piekst, während das Männchen nur zuschaut. Oder daß es die Indianer im Amazonasgebiet waren, die schon im 13. Jahrhundert ihre Kleidung mit dem Saft des Kautschukbaums wasserfest machten und so den Regenmantel erfanden. So ist das Ganze nicht nur lustig und höchst unterhaltsam, sondern zugleich informativ.
 
Volle Fahrt voraus - Lucky Luke-Band 98
© 2020 Ehapa Verlag Berlin - 45 Seiten - ISBN: 978-3-7704-4064-1
6,90 € (Broschur) / 12,- € (Hardcover)
Weitere Informationen: https://www.egmont-shop.de/
 
Redaktion: Frank Becker