Toilettenpapier
Es gehört zu den großen Urängsten des Menschen auf der Toilette zu sitzen und kein Toilettenpapier zu haben. „Hallo, ist da jemand.“ Gibt es einen einsameren Menschen, als den, der auf der Toilette sitzt und feststellt, daß er nach getaner Erleichterung kein Toilettenpapier vorfindet? „Hilfe, hört mich denn niemand?“ Wer in Krisenzeiten alle verteufelt, die ihren Hausflur mit vierhundert Rollen Klopapier vollstellen, weiß nicht, wie es ist allein gelassen zu werden. „Ich stecke hier fest. Hört mich jemand?“ Wer einmal mit heruntergelassenen Hosen, nicht gesellschaftsfähig, auf einer Toilettenbrille saß und in einem abgeschlossenen Raum auf Hilfe wartete, weiß, welchen Trost das Toilettenpapier bieten kann. „Mutterseelenallein und von allen guten Geistern verlassen, hoffe ich, daß ein guter Mensch kommt, um mir in dieser würdelosen Zeit zur Seite zu stehen.“ Wie schwer ist es gerade für schöne und erfolgreiche Menschen zu erleben, daß wir alle uns in bestimmten Momenten gleichen in unserer Scham und unseren Bedürfnissen. Der Geruch von Erfolg sieht anders aus. Wie schnell wird das gesellschaftliche Bild, das man von sich aufgebaut hat, erschüttert. Kein Wunder, daß in Krisenzeiten alle nach dem Klopapier greifen. Der Mensch ist Jäger und Sammler und gut, daß er nicht in Notsituationen Waschmaschinen hortet. Dafür ist er zu klug. Das Klopapier ist ein Ausdruck unserer Art, unsere Würde zu behalten. So wie wir in Flugzeugen klebrigem Tomatensaft etwas abgewinnen können und beim Anblick einer schönen Frau unseren Bauch einziehen, so bunkert der Mensch in Krisenzeiten Toilettenpapier. Durch die Riesenpackungen Toilettenpapier können wir unserem Unverständnis und unserer Angst Ausdruck verleihen. Wir überlassen uns nicht den Kräften der Dunkelheit. Wir sind gewappnet. Wir scheißen drauf. Manchmal hilft da nur Toilettenpapier. Der kluge Hamster sorgt vor, sonst wäre er längst ausgestorben. Ich bin gerührt, wenn alte Menschen mit riesigen Paketen Toilettenpapier aus dem Supermarkt flüchten. Sie haben den Kampf gegen die Entmündigung aufgenommen. Ein Leben ohne Toilettenpapier ist demütigend. Ich habe einen Freund, der sammelt Toilettenpapier nicht nur in Krisenzeiten. Er hat im Keller verschiedene Marken aufgebaut und kann je nach Stimmungslage entscheiden, welche Marke ihn aufmuntern soll. Im Augenblick nutzt er Toilettenpapier, welches nach Kamille duftet. In der Fastenzeit bevorzugt er Klopapier, welches aus Altpapier hergestellt wird. Das ist grau, kratzt ein wenig und hilft beim Büßen. In Zeiten großer Not bunkern wir Toilettenpapier. Das sind wir unserem Hintern schuldig. Wer Toilettenpapier in die Arme schließt, hat noch nicht aufgegeben. Alles andere ist für den Arsch.
© Erwin Grosche 2020
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