Beethoven und die Frauen

Sophia Mott – „Mein Engel, mein Alles, mein ich“

von Renate Wagner

„Mein Engel, mein Alles, mein ich“

Beethoven und die Frauen

Beethoven und die unsterbliche Geliebte… Wer immer sich jemals mit dem Komponisten auseinander gesetzt hat, möchte reflexartig „nicht schon wieder“ denken, wenn er auf dieses Thema stößt. Und Autorin Sophia Mott trägt etwas dazu bei, indem sie ihr Buch „Beethoven und die Frauen“ (Untertitel) mit dem vielleicht berühmtesten Zitat aus seiner Feder krönt: „Mein Engel, mein alles, mein Ich…“
Das ist der berühmte Brief, von dem man eigentlich nicht mehr im Kopf hat als diese intensive, berührende Anrede, die nicht in irgendeinem beliebigen Liebesbrief geschrieben würde, sondern von stärksten Gefühlen getragen wird. Aber was steht eigentlich noch drinnen in diesem Brief, den die Herren, die an Beethovens Totenbett wachten, aus einer Lade zogen – was den Verdacht nahelegt, daß er gar nicht abgeschickt wurde, aber wichtig genug erschien, nicht weggeworfen zu werden?
Nun kann man den Brief, an einem nicht weiter mit Jahreszahl versehenen „6ten Juli Morgends“ geschrieben (die zwei weiteren Seiten wurden am Abend dieses und am Morgen des nächsten Tages verfaßt) zur Gänze nachlesen. Weder das „Wo“ des Briefes (irgendwo auf Reisen) konnte je ergründet werden, noch weniger die Empfängerin, was der Welt den romantischen Mythos der „unsterblichen Geliebten“ gegeben hat, der ein Gutes hat – Genaues wird man nie wissen. Und nur die unlösbaren Rätsel sind die wirklich schönen und haltbaren…
Was steht nun sonst in dem Brief? Neben Liebes- und Treuebezeugungen viel Verwirrtes, durch das man inhaltlich kaum durchsteigt, was wiederum die Erregung widerspiegelt, in der das Schreiben verfaßt wurde. Er jammert einerseits über die Mühsal der Reise, grübelt andererseits über das Universum, beschwert sich über sein kümmerliches Leben… kurz, der große Mann bleibt uns ein Rätsel. Und die Geliebte auch.
 
Dabei weiß man, wie die Autorin in dem schmalen, aber inhaltsreichen und kompakt recherchierten Buch darlegt, viel über Frauen in Beethovens Leben. Die Mutter war wohl nicht sehr liebevoll (hatte auch angesichts der Schwere ihres Lebens wohl kaum Zeit und Sinn dafür), aber etwa für Helene von Breuning wurde er noch in Bonn eine Art Pflegesohn und hat liebevolles Familienleben als junger Mann kennen gelernt. Und ist als junger (und später älterer) Klavierlehrer seinen Schülerinnen auch immer – räumlich sozusagen – nahegekommen. Man sollte in ihm keinen Mann sehen, der in Bezug auf das andere Geschlecht total verkopft und verkomplext gewesen ist. Franz Wegeler, ein Jugendfreund und später ein früher Beethoven-Biograph (1838), der ihn gut kannte, stellte fest: „Beethoven war nie ohne eine Liebe und meistens von ihr in hohem Grade ergriffen…“
 
Als Beethoven 1792 nach Wien kam, um – was er natürlich noch nicht wußte – für den Rest seines Lebens hier zu bleiben, fand er schnell Anschluß. Er besaß schon adelige Freunde (den Grafen Waldstein, der ihm für Wien ins Stammbuch schrieb, er möge „Mozarts Geist aus Haydens Händen“ erhalten), er hatte Empfehlungsschreiben, und er war ein außerordentlicher Pianist: Man kennt die Vorliebe der Wiener für gute Musiker.
Er kam auf Anhieb beim Grafen Lichnowsky unter (wo er nicht blieb – sein steter Wohnungswechsel wurde Legende), und mütterliche adelige Damen nahmen sich des jungen Mannes (er war gerade über 20) an und gingen mit Respekt und Bewunderung mit ihm um. Der junge Beethoven ist temperamentvoll, leidenschaftlich und selbstbewußt – und häufig verliebt. Dabei nicht leichtlebig: Stoffe wie „Figaro“ oder „Don Giovanni“ hätte er, bei aller Bewunderung für Mozart, nie vertont, sagt er, die sind ihm zu leichtfertig…
 
An Beethovens Biographie entlang reihen sich die Damen wie an einer Perlenschnur. Man kann natürlich nicht sagen, wie weit seine Liebschaften (sexuell) gediehen sind, er wurde auch nicht immer erhört. Manche Frauen fanden ihn schlechtweg faszinierend (sie sahen auf das überragende Talent), andere lehnten ihn schlicht als „zu hässlich“ ab – sie sahen die äußere Fassade. Als junger Mann noch einigermaßen ansehnlich, verlor Beethoven, wie seine Porträts zeigen, zunehmend an Attraktivität. Aber sein Ruhm wuchs und wuchs.
Irgendwann ist man dann bei den drei Schwestern Brunsvik, die ihre Mutter nach Wien gebracht hatte, um sie gut zu verheiraten (zumal man selbst nicht betucht war). Auch die Autorin hat sich – wie die meisten Beethoven-Forscher – auf Josephine Brunsvik, später verehelichte Deym, später verehelichte Stackelberg als „unsterbliche Geliebte“ eingeschossen, aber indem sie deren Schicksal parallel zu jenem Beethovens führt, zeigt sie nur, wie ungeeignet diese im Grunde leichtfertige Dame (die auch im Lauf der Zeit zahlreich Kinder gebar und mit nur 42 Jahren starb) eigentlich für diese Rolle war…
Wenn adelige junge Damen nach Wien kamen, gehörten „Klavierstunden bei Beethoven“ zum guten Ton, das schmückte gewissermaßen kulturell. Daß ein Musiker „aus dem Volke“ (und mit seinen Einkünften) für eine Adelige als Ehemann nicht in Frage kam – vielleicht stand er nicht nur einmal vor dieser Tatsache. Einerseits der hochberühmte, von allen verehrte Künstler – aber gesellschaftlich eben doch „nur“ ein solcher…
 
Er kreuzte die Wege mancher adeligen Dame, die zu einem (wie weit gehenden?) Flirt bereit war, auch die „schöne“ Julie Guicciardi, eine Cousine der Brunsvik -Damen, gehörte dazu. Er verliebte sich sterblich, erlebte selige Augenblicke, träumte wieder von Heirat. Keine Frage, daß er sich nach einer Gefährtin sehnte – wer allerdings mit ihm hätte zusammen leben können, ist die Frage, wenn man seinen verwahrlosten Junggesellenhaushalt bedenkt (der jemanden gebraucht hätte, der sich um seine Kleidung kümmerte…). Natürlich heiratete Julie einen Adeligen, und Beethoven erfuhr wieder die Demütigung, daß man meinte, ein Freund des Hauses zu sein – und wie ein Lakai behandelt wurde.
„Dauerhafter und tiefer als Julie oder eine der anderen vermuteten ‚Unsterblichen Geliebten’ liebt er die Natur“, schreibt die Autorin – nicht umsonst hat man ihn immer wieder als „Wanderer“ dargestellt. Aus dem Schmutz der Stadt fliehend, erlebt er in Wald und Flur wenigstens keine menschliche Enttäuschung, die ihn regelmäßig trifft. Aber es gibt auch treue Freundinnen wie etwa die Gräfin Anna Maria von Erdödy. Und mit Therese Malfatty umwirbt er eines der schönsten Mädchen von Wien. Die Widmung eines seiner berühmtesten Klavierstücke soll nicht „Für Elise“ gelautet haben (ein Beethoven-Forscher ist über die Handschrift des Meisters gestolpert), sondern „An Therese“.
 
Damen von einiger Berühmtheit wie Bettina Brentano oder Rahel Levin suchen seine Bekanntschaft. Man versteht einander gut, aber Beethoven liebt hübsche junge Frauen, und das ist Rahel nicht, und sie steht auf hübsche junge Männer – und das ist Beethoven nicht. Aber es gibt auch noch hübsche junge Frauen in seinem Leben, etwa Fanny Giannattasio del Rio, die in den um 20 Jahre älteren, schrulligen und nun schon durch seine Taubheit von der Welt abgeschnittenen Beethoven bis über beide Ohren verliebt ist, nur sein „liebes Wesen“ sieht und sonst nichts. Aber er gesteht ihr eine Liebe, die er nicht aus seinem Gemüt bringen konnte… Immer wieder betonte er: Er fand in seinem Leben nur eine.
Wer sie war, wir wissen es nicht. Aber ein frauen- und freudloses Leben war es nicht, wenn Beethoven in seinem Stolz vielleicht am meisten unter seiner Stellung gelitten hat: Von Adeligen umschwärmt und hofiert – aber bis daher und nicht weiter: In ihre Kreise ließen sie ihn nicht. Nicht, wenn er eine Frau aus ihrer Welt heiraten wollte.
 
Am Ende meinte er resigniert, es sei vielleicht gut, wenn nicht alle Wünsche des Lebens in Erfüllung gehen. Wer hätte ihm garantiert, daß eine Ehe glücklich geworden wäre? Zumal er in der Musik und in der Natur ein hohes Maß menschlicher Erfüllung fand.
 
Sophia Mott – „Mein Engel, mein Alles, mein ich“
Beethoven und die Frauen
© 2020 Verlag ebersbach & simon, 144 Seiten, Halbleinen – ISBN:
18,- €
Weitere Informationen: www.ebersbach-simon.de