Libori

Ein Klage- und Mutmachlied

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Libori
 
Paderborn ist ohne Libori nicht vorstellbar. Die kleine Domstadt freut sich das ganze Jahr auf das Ereignis und erduldet gelassen manch traurigen Augenblick, um dort dann die Liebe unter den Menschen zu erneuern. Es scheint so, als würde sich der Paderborner den Rest der Zeit bewußt zurückhalten, um dann nach dem Liboritusch sein Temperament für 9 Tage zu entfalten.
„Nicht groß von Gestalt, hager und sehnig, mit scharfen, schlauen, tiefgebräunten und vor der Zeit von Mühsal und Leidenschaft durchfurchten Zügen, fehlt dem Paderborner nur das brandschwarze Haar zu einem entscheidend südländischen Aussehen.“ So beschreibt Annette von Droste-Hülshoff die Paderborner, und wer hat da nicht sofort unseren Vize-Bürgermeister Honervogt vor Augen. Ich kenne viele, die auf Libori den Partner fürs Leben suchen und die ansteigende Geburtenrate des folgenden Jahres ist eine beruhigende Erfolgsgeschichte. Was in Paderborn nicht zu Libori passiert, passiert nie. Wer bewundert nicht die Frauen der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, die schon Monate vorher, quasi als Vorpremiere, ihre berühmten Waffeln testen, um dann zu Libori im Missionsgarten, optimal vorbereitet zu sein. „Frieden schaffen mit mehr Waffeln.“
Ein Muckibuden-Betreiber vertraute mir mal an, daß schon ab Mitte Mai die Handwerksmeister der Liborischreinträger-Bruderschaft an den Hanteln zu sehen sind, um auf dem Volksfest den 200 Kilo schweren Schrein tragen zu können. Was wird nun aus uns allen, die wir dem wunderbaren Kirmes-Treiben entgegenfieberten, um dann in langen dunklen Wintertagen davon zehren zu können? Wir haben es hingenommen, daß die Osterfeierlichkeiten eingeschränkt wurden, wir haben nicht gemurrt als der Gasthof Weyher pausieren mußte, und wir nahmen die Typveränderungen hin, als Frau Maier am Kilianplatz ihren Friseursalon schließen mußte. Wir haben nicht geklagt, als die Bundesligaspiele ausfielen, obwohl der SCP gerade wieder zu seiner früheren Form gefunden hatte, wir haben es hingenommen unseren Erzbischof nur im Internet bewundern zu können und ertrugen mit Engelsgeduld die vorgezogene Sommerpause des Amalthea-Theaters, aber auf Libori zu verzichten ist ein tiefer Eingriff in unsere ostwestfälische Identität. Wo finden wir einen neuen Spielplatz für unsere Sehnsüchte?
Die gute Nachricht ist, daß das kirchliche Liborifest auf jeden Fall stattfinden wird. Der Glockenklang darf uns umarmen. Aber was ist mit den anderen 2 Ks? Libori steht nicht nur für Kirche, sondern auch für Kirmes und Kultur. Natürlich ist es machbar, daß unser Bürgermeister per Video das Festfaß ansticht und per Live-Stream mit jedem Paderborner anstößt. Natürlich kann man auch Auffenbergs Biergarten in den eigenen vier Wänden nachstellen, wenn man jemanden hat, der auf dem Wohnzimmertisch tanzt, und wir dazu das Paderbornlied grölen. Aber ist Libori nicht noch mehr? Steht Paderborn nicht auch im Zeichen des heiligen Liborius? Hilft er nicht auch, wenn uns ein Stein auf dem Herzen liegt und uns unsere Stimmung verdirbt?  Ich werde auf jeden Fall an diesen Tagen das Liborifest begehen. Ich brauche keine 1,5 Millionen Menschen um mich herum, um in Stimmung zu kommen. Ich werde mich morgens vom Liboritusch wecken lassen, und werde nicht gleich schimpfen, wenn meine Nachbarn wieder meine Einfahrt zuparken. Libori ist ein großes Miteinander, wo alle sich von ihrer besten Seite zeigen. Vielleicht wird es in diesen Tagen auch doch noch Waffeln geben, vielleicht stehen wir auch abends auf den Bürgersteigen und singen, mit dem gebührenden Abstand,  gemeinsam das Paderbornlied. Wer weiß, was sich bis Ende Juli noch alles tun wird, aber ich bin mir sicher, daß wir es schaffen werden den Geist von Libori aufleben zu lassen.  
 
© Erwin Grosche 2020