Jonathan Carr (1942-2008)

Ein Nachruf

von Dorothea Renckhoff

Sensibilität, subtiler Humor und Sachkenntnis:

Das war Jonathan Carr


Gäbe es mehr Journalisten wie er einer war, die Welt sähe besser aus: Jonathan Carr war ein intelligenter und scharf analysierender Autor, der brillant und oft sarkastisch formulierte, aber niemals den Scharfrichterton vieler anderer Schreiber anschlug. Sensationsgier war ihm ebenso fremd wie geistiger Hochmut, und vielleicht war er so etwas wie die Verkörperung des idealen Engländers, für den Fair Play, Höflichkeit, vornehmes Understatement und Toleranz keine leeren Begriffe sind.

Carr arbeitete mehr als drei Jahrzehnte als Auslandskorrespondent, zuerst in Genf, Paris und Brüssel, später in Deutschland, dann als Büroleiter der Financial Times und des Economist in Frankfurt am Main und in Bonn. Seine Reportagen wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet; 2000 belohnte Großbritannien seine Leistungen für die deutsch-englischen Beziehungen mit einer der höchsten Ehrungen des Königreichs und machte ihn zum Commander of the British Empire.

1985 veröffentlichte Carr eine viel beachtete Biografie über Helmut Schmidt; 1993 gab er mit ‚Goodbye Germany’ einen unfeierlichen Rückblick auf Deutschland vor der Wiedervereinigung. Doch die große Liebe seines Lebens war die Musik, und so müssen als Hauptwerke des unermüdlichen Konzert- und Opernbesuchers seine packende Gustav Mahler Biografie (1997) genannt werden sowie sein 2007 bei Faber und Faber in London, jetzt auf Deutsch bei Hoffmann und Campe erschienenes großes Buch ‚Der Wagner-Clan’, die erste umfassende Darstellung der Wagner-Familie überhaupt. Carr hat Jahre gebraucht, um Materialien und Sekundärliteratur zu sichten, hat aber in dieser Flut nicht den Kopf verloren, sondern daraus ein ungemein fundiertes und faszinierend gedachtes und formuliertes Buch destilliert. Nur wenige Tage nach dessen Erscheinen ist er am 12. Juni in Königswinter im Alter von sechsundsechzig Jahren gestorben. Wer ihn kannte, wird sich an ihn als an einen geistreichen und sensiblen Gesprächspartner erinnern, bei aller Genauigkeit und Schärfe seiner Analysen ohne jede Feindseligkeit und von einer seltenen echten und ehrlichen Freundlichkeit.