Von allen belogen

„Der Überläufer“ nach dem gleichnamigen Bestsellerroman von Siegfried Lenz

von Frank Becker

Von allen belogen
 
Der Überläufer – nach dem Romasn
von Siegfried Lenz
 
Dem Regie-Team und der Besetzung unter Florian Gallenberger ist mit „Der Überläufer“ nach dem gleichnamigen Roman von Siegfried Lenz (1926 - 2014) eine wahrhaft beeindruckende hoch dramatische Literaturverfilmung gelungen. Der Zweiteiler, der jüngst im Hauptprogramm der ARD gezeigt wurde, hatte das Zeug dazu, seine Zuschauer intensiv in das dunkelste, aber dann auch bewegendste Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte mitzunehmen, mit dem Zusammenbruch der deutschen Wehrmacht in Polen am Ende des zerstörerischen 2. Weltkriegs, dem folgenden kommunistischen Wiederaufbau in Ostdeutschland und dem westdeutschen Wirtschaftswunder nach der Währungsreform. Die in Kino-Qualität gedrehte Fernsehproduktion ist ein unter die Haut gehendes Drama über den ewigen Konflikt zwischen Pflicht und Gewissen und den alltäglichen Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs, aber auch ein fesselndes Stück Zeitgeschichte.
 
Am 8. Mai 2020 jährte sich das offizielle Ende des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal. Anläßlich dieses historischen Ereignisses veröffentlicht Pandastorm die BD und DVD des bemerkenswerten Mehrteilers „Der Überläufer“. Siegfried Lenz schrieb „Der Überläufer“ bereits 1951, doch der Verlag zog die bereits gegebene Veröffentlichungszusage aus politischen Gründen zurück. 2016 wurde der Roman dann schließlich posthum veröffentlicht, vielerorts als Meisterwerk aufgenommen und belegte mehrere Wochen Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.


v.l.  Walter Proska (Jannis Niewöhner), Willi Stehauf (Rainer Bock)

Die Geschichte: Im letzten Kriegssommer 1944 strandet der junge Wehrmachtssoldat Walter Proska (brillant in seiner Darstellung des ehrlichen Durchschnittlichkeit: Jannis Niewöhner) auf dem Weg Richtung Ostfront nach einem Anschlag auf seinen Transport-Zug bei einem Haufen versprengter deutscher Soldaten. Auf verlorenem Posten und von den eigenen Truppen aufgegeben, zeigt der sadistische Unteroffizier Willi Stehauf (genial zynisch: der vielseitige Rainer Bock) das häßliche Gesicht der Macht in Händen des Kleinen Mannes. Er quält und gefährdet willkürlich die ihm anvertrauten Soldaten und ermordet polnische Zivilisten. Florian Lukas gibt in diesem Abschnitt des Films bewegend den Soldaten Paul Zacharias, dessen einiziger Wunsch ist, nach Hause zu seiner Frau zu kommen, die ihm einen Sohn als Hoferben geboren hat.
 

Begegnung mit Wanda: Walter Proska (Jannis Niewöhner), Wanda (Malgorzata Mikolajczak)

Die Begegnung und Liebesbeziehung mit der jungen polnischen Partisanin Wanda (eine Entdeckung: Malgorzata Mikolajczak) zwischen den Fronten und intensive Gespräche mit seinem Kameraden Wolfgang Kürschner (Sebastian Urzendowsky) lassen Proska immer stärker an der Richtigkeit seines soldatischen Auftrags und am Regime zweifeln. Überlaufen wie sein Freund Kürschner will er aber nicht. Als die Rote Armee näher rückt, gerät Walter Proska, festgenommen durch die Partisanengruppe Wandas, in russische Kriegsgefangenschaft und kann nur überleben, als Kürschner ihn findet und rettet. Als Proska genesen ist, trifft er Wanda in ihrem eigentlichen Beruf als Sängerin wieder, aber sie werden erneut getrennt. Er läßt sich vom Aufbau eines sozialistischen Staates auf dem Boden der sowjetischen Besatzungszone überzeugen und steigt schnell in der Administration auf und bittet die russischen Behörden, nach Wanda zu suchen. Dort begegnet er auch den Zyniker Stehauf wieder, der nun den alten Kameraden herauskehrt. Und wieder ist Proska zwischen Pflicht und Anstand zerrissen.
 

Von Gott und der Welt verlassen: v.l. Paul Zacharias (Florian Lukas), Ferdinand „Baffi“ Ellerbrok (Bjarne Mädel)

Als sich das System der nun gegründeten DDR für Proska als genauso ideologisch verbohrt und von Spitzeln durchseucht herausstellt wie das vorherige Nazi-System und er von seiner Sekretärin Hildegard Roth (beeindruckend: Leonie Benesch) erfährt, daß niemand je nach Wanda gesucht habe, läßt er sich von Hildegard überzeugen, gemeinsam in den Westen zu flüchten. In Hamburg heiraten er und Hildegard schließlich, gründen eine Familie und erreichen bürgerlichen Wohlstand. Bis eines Abends Wanda in einer Fernsehshow des NDR auftritt. Jetzt begreift Walter Proska, daß er immer und überall von allen belogen worden ist…
 
Der Überläufer-Drehbuchautor Bernd Lange: „Lenz’ Buch ist ein Schlüsselroman über Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig haben der Blick des 25-jährigen Lenz auf das Nachkriegsdeutschland, auf die deutsch-deutsche Teilung und seine Frage nach der Schuld derjenigen, die das Land wieder aufgebaut haben, aus heutiger Perspektive fast hellseherische Qualität.“

Der Irrsinn des Krieges schlechthin und der Wahnsinn dieses sinnlosen Endkampfes" erschüttern durch die unpathetische Darstellung dieser TV-Verfilmung.Besonderes Lob muß Szenenbild (Robert Czesak, Magdalena Dipont), Maske (Tatjana Krauskopf, Dorota Swiderska, Natalia Kubiak) und Kostüm (Lisy Christl) sowie der Ausstattung gezollt werden.


Wiedersehen nach dem Krieg: Walter Proska (Jannis Niewöhner), Wanda (Malgorzata Mikolajczak)

„Der Überläufer“ nach dem gleichnamigen Bestsellerroman von Siegfried Lenz
2 DVD
© 2020 Pandastorm
Mit:
Jannis Niewöhner (Walter Proska) - Małgorzata Mikołajczak (Wanda Zielinski) - Sebastian Urzendowsky (Wolfgang Kürschner) - Rainer Bock (Willi Stehauf) - Bjarne Mädel (Ferdinand „Baffi“ Ellerbrok) - Florian Lukas (Paul Zacharias) - Leonie Benesch (Hildegard Roth) - Katharina Schüttler (Maria Rogalski) - Ulrich Tukur (Ernst Menzel) - Alexander Beyer (Martin Kunkel) - Mathias Herrmann (Helmut Poppek) - Adam Venhaus (Zwiczosbirski) - Shenja Lacher (Kurt Rogalski) u.v.a.m.
Regie: Florian Gallenberger – Drehbuch: Bernd Lange, Florian Gallenberger nach dem Roman von Siegfried Lenz – Kamera: Arthur Reinhart – Szenenbild: Robert Czesak, Magdalena Dipont – Maske: Tatjana Krauskopf, Dorota Swiderska, Natalia Kubiak – Kostüm: Lisy Christl – Ton: Rüdiger Fleck - Schnitt: Marco Pav d’Auria, Robert Eyssen – Musik: Antoni Lazarkiewicz – Casting: Simone Bär – Produzenten: Stefan Raiser, Felix Zackor – Produktionsleitung: Jannis Stahnsdorf, Daniel Buresch (NDR) – Redaktion: Christian Granderath (NDR), Sabine Holtgreve (NDR), Carolin Haasis (ARD Degeto), Manfred Hattendorf (SWR)
 
Weitere Informationen:  www.pandastorm.com