Mein 8. Mai

von Wolf Christian von Wedel Parlow

Wolf Christian von Wedel Parlow Foto © Frank Becker
Mein 8. Mai
 
Von den Eierbergen auf der anderen Mainseite rollten drei amerikanische Panzer über die grünen Kornfelder zum Main herunter. Gleich werden sie hier sein, sagte meine Tante, bei der ich mit Bruder und Schwester untergekommen war. Sie hatte das Haus auf allen Seiten mit weißen Tüchern behängt. Die Wehrmachtssoldaten hatten sich zurückgezogen. Die Spuren in den Kornfeldern wirkten bedrohlich. Wie breit diese Panzer waren! Aber es geschah erst mal nichts. Es blieb ruhig. Obwohl der Main hier nicht tief war. Meine Tante sah immer wieder hinüber zum Mainufer, wo die Panzer stehen geblieben waren. Die wollen erst mal das Kloster inspizieren, sagte sie. Ganz plötzlich wurde es laut auf dem Hof. Drei kleine offene Autos waren dort stehen geblieben, in jedem saßen vier Mann in gelblichen Uniformen, Stahlhelme auf. Die Gesichter waren schwarz. Schwarze sind das, sagte die Tante. Sie öffnete die Haustür und hob die Hände. Die Schwarzen lachten. Vier oder fünf stiegen aus und riefen „helou!“ und sagten irgendwas, was ich nicht verstand. Meine Tante sagte „kamm in!“ Später erklärte sie mir, sie hätten im Haus nach Waffen gesucht. Sie seien sehr höflich gewesen. Zwei Jagdgewehre hätten sie mitgenommen. Ich sah nur, wie sie wieder abfuhren. Dschieps hießen diese seltsamen viereckigen Autos, erklärte die Tante. Am nächsten Tag kam wieder so ein Dschiep. Ich kickte gerade mit meinem Freund auf dem Hof. Diesmal saßen nur zwei Amerikaner in dem Auto, wieder Schwarze. Zwei Angeln ragten mit der Spitze hinten aus dem Auto. „Wie nied worms“, sagte der eine und hielt uns ein kleines Päckchen hin. „Worms“ verstanden wir. Die wollten offenbar Regenwürmer. Wir nickten und nahmen das Päckchen und die Dose, die er uns hinhielt. Regenwürmer waren kein Problem für uns. Im Garten gab es ein mit Steinplatten belegtes schattiges Plätzchen. Wir brauchten nur eine Platte hochzuheben, schon hatten wir drei, wenn nicht vier Würmer. Die Dose hatten wir schnell gefüllt und brachten sie den beiden. „Senks ä lott“, sagte der eine. Dann gaben sie Gas, daß der Kies nur so spritzte auf dem Feldweg hinunter zum Main. Auf dem Päckchen stand „Chewing gum“. Wir zeigten es der Tante. „Die könnt ihr ruhig in den Mund stecken. Es ist Kaugummi, tschuing gamm. Aber nicht runterschlucken.“

 
Wolf Christian von Wedel Parlow, 4.5.2020