Präsidenten-Parade

Lea N. Michel – „The President of the United States on Screen in Motion Pictures, Series, and on TV“

von Frank Becker

Präsidenten-Parade
der etwas anderen Art
 
Political Fiction im Film
 
Selten hat man eine solche Fleißarbeit in der Hand, originell und wirklich einzigartig, ebenso selten aber auch findet man ein trotz gewisser Systematik derart chaotisch aufgebautes Buch. Aber vielleicht gerade das macht die Benutzung (benutzen wofür eigentlich?) bzw. das Schmökern und Blättern in Lea N. Michels Paperback-Wälzer „The President of the United States on Screen in Motion Pictures, Series, and on TV“ so unterhaltsam.
Mit bewundernswerter Akribie hat die Zürcher Grafik-Designerin und Lehrbeauftragte an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zusammengetragen, was über fiktive amerikanische Präsidenten und Präsidentinnen (die erste Präsidentin erschien 1964 in der Komödie „Kisses for my president“) in Kino- und Fernsehfilmen der modernen westlichen Filmgeschichte zu finden war. Auf immerhin 164 Figuren ist sie bei ihrer Recherche gekommen, dargestellt von Stars wie u.a. Gene Hackman, William Devane, William Hurt, Christopher Plummer, Jeff Bridges, Michael Douglas, Dan Akroyd, Harrison Ford, Alan Alda, Martin Ladau, Samuel L. Jackson u.v.a. – und von zahllosen überwiegend namenlosen und längst wieder vergessenen B-Darstellern. Oder erinnern Sie sich an Tovah Feldshuh, Daniel J. Travanti oder Esai Morales? Obwohl eben solch ein B-Darsteller und wohl kaum mehr wert als eine Fußnote, findet man den derzeitigen US-Präsidentendarsteller Donald Trump in diesem ansonsten von Kuriositäten überquellenden Band nicht. Dabei kommt es der Welt überwiegend vor, als liefe da wirklich nur ein schlechter, ganz schlechter  Film…
 
Aber zurück zum Eigentlichen. Alphabetisch sortiert nach Situationen und Beschäftigungen, also von „a“ wie „abusing a woman“ (nur einmal) bis „w“ wie „writing“ (nur einmal) hat Lea N. Michels für den englischsprachigen Band Standbilder ausgesucht und zusammengestellt, die Film-Präsidenten und –Präsidentinnen in absurden und alltäglichen Momenten zeigen, so wie es sich die Drehbuchschreiber und Regisseure ausgedacht haben und dem Kino-Publikum und den Fernsehzuschauern als „aus dem Leben eines Präsidenten“ verkaufen. Da findet man zahlreiche Beispiele wie „drinking alcohol“, „in elevator“, „playing baseball“, killing (nur einmal), „signing files“,  „shaking hands“, „with a gun“ (kommt oft vor), „fleeing“ (kommt auch oft vor), „fighting“ (ebenfalls oft), „getting his nose licked“ (nur einmal), „locked up“, „kissing“, „hugging“, shot“, „naked“ (nur einmal, wer sonst als Leslie Nielsen), „sharpening a pencil in his ear“ (gottlob auch nur einmal, das kann nur Lloyd Bridges sein) oder „in a video conference with a terrorist“.
Aus dem Kino kennen wir den amerikanischen Präsidenten als im Grunde stets patriotischen Demokraten vor allem in Action-Filmen, von Ulk-Streifen mal abgesehen. Lea Michels Buch richtet den Fokus auf das Handlungsspektrum der ehemals wichtigsten Person der Welt – Hände schüttelnd, hinter oder vor dem Tisch im Oval Office, aus der Limousine ein- oder aussteigend, im Bademantel, etc. etc.
Sechs Präsidenten-Typologien - Father & Husband, Villain, Alien, Clown, Hero, Lover - in 241 Unterkategorien führen das Repetitive, bisweilen Absurde in den Handlungen der (Bildschirm-)Präsidentinnen und -Präsidenten vor und hinterfragen - in der Amtszeit eines Präsidenten, der massiv von der medialen Vermarktung für seine Popularisierung Gebrauch macht - die gegenseitige Beziehung von Fiktion und Realität.
Man sollte nicht versuchen, gezielt einen Film nach seinem Erscheinungsjahr oder seinem Titel und auch nicht einen Darsteller nach dem Namen zu suchen, denn das gibt das Buch ebenso wenig her wie eine cineastische Chronologie. Nach den tieferen Sinn gefragt muß ich passen. Teresa Rudolfs Essay am Ende führt da auch nicht wirklich weiter. Aber es reizt, den einen oder anderen Film noch einmal anzuschauen.
 
Lea N. Michel – „The President of the United States on Screen in Motion Pictures, Series, and on TV“
164 Presidents, 1877 Illustrations, 240 Categories
Herausgeber: Ludovic Balland, Julia Blume 
© 2020 Scheidegger & Spiess, 464 Seiten, kartoniert / Broschiert 22 x 17 cm, 1877 farbige Abbildungen - Sprache: Englisch - ISBN-13: 9783858818584
38,- €
 
Weitere Informationen: www.scheidegger-spiess.ch