Projekt „The Walking Bag“ von Erwin Wurm für Bonns Innenstadt

Bonn tut sich schwer mit der sogenannten Kunst im öffentlichen Raum.

von Helmut Lambert und Rainer K. Wick

Erwin Wurm, Walking Bag, Standort Bonn, Martinsplatz NO-Seite
Fotomontage der Stiftung für Kunst und Kultur Bonn

Projekt „The Walking Bag“ von Erwin Wurm für Bonns Innenstadt
 
Bonn tut sich schwer mit der sogenannten Kunst im öffentlichen Raum. Markus Lüpertz‘ „Beethoven“ (2015) im Stadtgarten in unmittelbarer Nähe des Koblenzer Tors fand keineswegs nur Beifall, und auch Stefan Balkenhols „Hommage an Macke“ (2018) im Hofgarten rief manch kritische Stimme auf den Plan. Nun ist eine Kontroverse um die Aufstellung der etwa vier Meter hohen Skulptur „The Walking Bag“ des österreichischen Künstlers Erwin Wurm vis-à-vis dem Bonner Münster und in direkter Nachbarschaft zum Hauptgebäude der Universität, dem ehemaligen Kurfürstlichen Schloß, entbrannt. Es soll sich um eine orange bemalte „Figur“ handeln, bestehend aus überlangen, spindeldürren Beinen und – anstelle des Kopfes – einer Luxushandtasche, die, so die Intention des Künstlers, als ironischer Kommentar zur urbanen Konsumkultur gelesen werden will (oben sehen Sie eine Fotomontage der Stiftung für Kunst und Kultur Bonn, die das Projekt fördert). Den schon seit längerem andauernden Meinungsstreit um Pro und Contra dieses Projekts haben die Professoren des renommierten Bonner Kunsthistorischen Instituts kürzlich mit einem „Offenen Brief“ noch einmal angefacht. Sie halten das Werk „für ästhetisch und inhaltlich mißlungen“, bezeichnen es als „reine Plattitüde“ und „simplen Gag“, kritisieren es als frauenfeindlich und lehnen den vorgesehenen Standort am Contra-Kreis-Theater und Studio für Kunsterziehung der Universität Bonn ab. Diese harsche Kritik, mit der man sich auseinandersetzen muß, der von verschiedenen Seiten aber mangelnde Sachlichkeit, ja Polemik, vorgeworfen worden ist, hat den Architekten und Stadtplaner Helmut Lambert, der vor mehr als fünfzig Jahren selbst einige Semester Kunstgeschichte in Bonn studiert hat, dazu veranlaßt, mit der Skulptur ein fiktives Interview zu führen.
Rainer K. Wick
 
 
Helmut Lambert: Durch wundersame Umstände hatte ich die Möglichkeit mit der umstrittenen Plastik selbst zu sprechen.
 
Frage: Was denken Sie über die Diskussion, die zur Zeit in Bonn über Sie geführt wird?
Walking Bag: Ich kann nicht denken, ich habe keinen Kopf. Ich kann nur fühlen.
F: Was fühlen Sie?
WB: Ich freue mich über die Befürworter.
F: Was fühlen Sie bei den Kritikern?
WB: Daß sie zu wenig fühlen.
F: Könnten Sie das etwas näher ausführen?
WB: Soweit ich das ohne Kopf verstehen kann, wird doch sehr viel verstandesmäßig argumentiert. Dabei soll ein Kunstwerk doch auch die tieferen Persönlichkeitsschichten ansprechen. Wenn z.B. Cassirer und Luhmann bei mir unten im Bauch richtig angekommen sind. Durch was an mir und wie die Kritiker angesprochen werden, teilen Sie uns nicht mit.
F: Ist das jetzt nicht eine beleidigte Reaktion?
WB: Keineswegs ich habe Goethe auf meiner Seite: „Wenn ihr`s nicht fühlt, ihr werdet`s nicht erjagen!“ Dabei habe ich es Ihnen doch leicht gemacht, etwas zu fühlen.
F: Inwiefern?
WB: Ich habe immer auf meine Figur geachtet, habe meine Leggins angezogen und dazu passende schöne Schuhe, ich gehe elegant, fast schwebend – man beachte nur meine Fußhaltung! -, weil mich das Shopping so beflügelt im Bauch. Ich strahle Entspannung und mit meiner roten Farbe Freude aus… Liebe!
F: Können sie nicht die Kritik nachvollziehen, daß die „edle Bronze“ mit profanem rotem Lack überdeckt wurde?
WB: Ach Gottchen! Das kann ich gar nicht nachvollziehen! Es weiß doch jeder, daß es beim Fetisch der Konsumware nur auf das Äußere ankommt. Oder mit meinem Freund Karl Lagerfeld gesagt: „Mode ist oberflächlich.“ Aber interessant: Es sind in mir also viel größere Werte verborgen, als man auf den ersten Blick sieht. Wenn das keine Metapher ist!
F: Halten Sie denn die Kritik, daß Sie auf das Konsumieren reduziert sind für nachvollziehbar?
WB: Aber ja bin ich reduziert, ich gehe doch shoppen! Das ist doch offensichtlich. Zuhause habe ich wieder meinen Kopf drauf. Und ich hoffe, man sieht, daß ich Freude am Shoppen habe. Hätten denn die Kritiker in Erinnerung an 1945 lieber zwei Beine mit einem Einkaufsnetz mit drei Kartoffeln und einer halben Packung Persil in grau?
F: Es wurde auch der Standort kritisiert, da er nicht der Brennpunkt des Konsums sei.
WB: Der Standort ist doch prima! Ringsum Geschäfte, ein Theater und das Bonner Münster. Wie kann man davon sprechen, daß hier nicht der Kommerz dominiert? Wo gibt es Kultur und Kirche ohne Knete? Diese Mischung macht doch eine Innenstadt aus. Außerdem steht hier so viel kleines Gerümpel herum, daß ich in 4 m Größe das alles vergessen lasse. Der Standort läßt mir beim Shopping die Freiheit, geradeaus zu schlendern, zum Bahnhof, nach rechts zu Münsterplatz oder nach links zum Kaiserplatz - oder alles nacheinander. Ich kann's kaum erwarten!
F: Was sagen Sie zur ablehnenden Stellungnahme der Bonner Professoren der Kunstgeschichte?
WB: Da ich ja keinen Kopf habe, habe ich sie kaum verstanden. Ich fühle nur, daß Akademiker der Geschichte wohl wenig geeignet sind, Neues zu erkennen. Da halte ich es mit Karl: Immer nach vorne gucken, nicht nach hinten! Immer etwas Neues! Haben diese Professoren denn in der Vergangenheit oft recht gehabt?
F: Ihr Erfolg ist recht besehen, sehr bescheiden. Die Mehrzahl von ihnen lag in der Vergangenheit in den meisten Fällen daneben. Sollen sie sich denn deshalb gar nicht äußern dürfen?
WB: Aber natürlich sollen sie sich äußern! Soviel sie wollen! Vielleicht in einem Ton der ihren bisherigen Ergebnissen angemessen ist? Waren Sie denn bescheiden oder ex cathedra?
F: Sie waren höflich und sachlich.
WB: Bei einem Kunstwerk reicht das doch nicht! Ein Kunstwerk ist doch kein Kreuzworträtsel. Sehen die das nicht?
F: Es wurde von den Professoren auch kritisiert, daß Ihre Aussage zu simpel sei.
WB: Das ist ein merkwürdiges Argument. Erst mal: Was jemand bei einem Kunstwerk denkt und fühlt, hängt doch nicht allein vom Kunstwerk ab! Und: Danach müßte man große Teile der modernen Museen ausmisten und das Arp-Museum könnte man gleich schließen.
F: Zum Abschluß noch die Frage: Was sagen Sie zum Vorwurf, daß sie frauenfeindlich seien?
WB: Das kann ich ja gar nicht verstehen. Schon aus zwei Gründen. Wir Frauen nehmen die Last des Shoppens auf uns, halten durch, wo Männer schon bei der zehnten Anzugsprobe beim Herrenausstatter schlapp machen. Außerdem kaufen wir auch vieles für die Männer: Unterhosen, Unterhemden, Socken, Hemden, Pullover. „Liebling, du kennst ja meine Größe!“ Das müßte man doch eigentlich würdigen. Aber diese Art Feminismus, der uns in die „schäm-dich-Ecke“ stellen will: Phöh! Der läßt mich kalt. Ich stelle mir einfach vor, wie ein Kunstwerk mit denen aussehen würde. Wahrscheinlich Schlabberlook und runtergezogene Mundwinkel.
F: Und das zweite Argument?
WB: Die Männer haben ja auch so ihre Orte der Begierde, aber die sind weniger in der Stadtmitte.
F: Jetzt wird's pikant
WB: Ach nicht was sie denken! Nicht Sexshops und Gewerbe sui generis, wie die Juristen sagen. Ich denke an Baumärkte, Auto- und Motorradhäuser, neuerdings auch Fahrradhäuser, an Computermärkte und Outdoorausstatter... an Sportstadien und Kneipen! Oder gehört das nicht zum Kommerz?
F: Vielen Dank für das Gespräch.
 
Die Befragung wird gelegentlich fortgesetzt
Helmut Lambert