Zuhause
„Ich wußte gar nicht, wie schön es zu Hause ist“, beichtete mir jetzt ein Mann. Viele Menschen entdecken plötzlich ihr Zuhause und erblicken Sachen, die ihnen sonst nicht aufgefallen sind. „Wir haben ja ein Aquarium.“ Der Appell der zuständigen Ämter die öffentlichen Räume zu meiden und im Hause zu bleiben, zeigt endlich Wirkung. „Ich bin ja morgens aus dem Haus gegangen und kam abends wieder und setzte mich vor die Glotze.“ Da war kein Platz, seine Umgebung wahrzunehmen und die Begleiterscheinungen seines Lebens zu würdigen. „Ich habe ja eine Frau.“ Plötzlich fallen Menschen wieder Dinge auf, die sie früher als selbstverständlich hingenommen haben. Auf der Arbeitsstelle kannte man die Namen der Kollegen und wußte das Datum, an dem sie Geburtstag hatten. Man hat zusammen getanzt, gefeiert und Spaß gehabt. Nun ist man im privaten Umfeld überrascht, mit wem man seine Wohnung teilen muß. „Ich entdeckte meine drei Kinder wieder, die immer noch zu Hause wohnen. Am Anfang war das ungewohnt, aber nun spielen wir abends Karten und ich kann meinen Verdienstausfall ein wenig ausgleichen.“ Plötzlich haben viele Menschen Zeit ihre ausgefallenen Hobbys zu pflegen. Ich sprach mit einem Mann, der wieder an seinem nicht zu Ende gebrachten Puzzle arbeitete. „Ich sitze seit Jahren an diesem Puzzle, das unseren Ordnungsamtsleier Udo Olschewski darstellt. Es besteht aus 5000 Teilen, und allein für den Bauch brauchte ich damals zwei Monate. Nun habe ich es vollendet und Herr Olschewski hängt bei uns im Schlafzimmer und bewacht unseren Schlaf.“ In den eigenen vier Wänden kann man sich gehen lassen wie man will. „Ich habe manchmal am Nachmittag noch meinen Schlafanzug an. Meine Frau liebt es, wenn ich an meiner erotischen Ausstrahlung arbeite. Manchmal stehe ich auch einfach am Fenster und winke den vorbeiziehenden Wolken zu. Gestern habe ich noch die Zuckerdose mit Salz aufgefüllt und freute mich tierisch, als meine Frau den Kaffee süßen wollte. Ach die albernen Spiele der Liebenden.“ „Ich will hier gar nicht mehr weg“, gestand mir ein Nachbar. „Ich arbeite jetzt von zu Hause aus und schicke manchmal meinen Chef ein Lebenszeichen, wo er sehen kann, wie ich schlafend vor dem Computer rumhänge. Einmal, da hatte ich Zeit, mein altes Fotoalbum hervorzukramen, und entdeckte ein Foto von meiner Hochzeit. Ich stand da neben einer völlig anderen Frau. Die Frau mit der ich jetzt lebe, sieht total anders aus. Zuerst habe ich überlegt, ob ich was sagen soll, aber dann habe ich gedacht, ich bin zufrieden mit dem Tausch. Wir haben es doch so schön.“ Mach mal Pause, bleib zu Hause.
© Erwin Grosche 2020
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