Neue Rituale für die Suche nach dem Glück

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Neue Rituale
für die Suche nach dem Glück
 
Herr Schünemann, unser Schornsteinfeger, hat seinen Besuch angekündigt. Da seine Schornsteinfegertätigkeit dem Schutz von Leben und Gesundheit dient, müssen solche Besuche auch in diesen kontaktscheuen Tagen stattfinden. Das wäre auch schade, wenn nicht. Ein Schornsteinfeger bringt Glück. Ihn zu berühren ist wie ein Sechser im Lotto. Von ihm wahrgenommen zu werden, entschädigt mich dafür, daß ich als Kind keinen Hund gehabt habe.
     Früher, als man sich noch anfassen  durfte, kamen sogar die Nachbarn herübergelaufen, um Herrn Schünemann ihre Zuneigung zu zeigen. Ich stellte einen Spanischen Vanillekuchen auf den Tisch, der vom Wesen her die Ausstrahlung eines Schornsteinfegers hat, und so dankte man ihm für seine Schornsteinfegerei. Später, wenn er uns verließ waren wir alle schwarz vor Glück. Man muß sich nun was einfallen lassen, um Herrn Schünemann zu zeigen wie sehr wir ihn brauchen. Alles ist anders, wenn man sich nicht mehr nahe sein darf. Früher haben wir unseren Briefträger umarmt und ihn eingeladen mit uns das Weihnachtsfest zu feiern, damit er wußte wie gern wir ihn haben  Ich kann mich noch erinnern, wie groß die Freude war,  wenn die Mitarbeiter von Schomberg uns besuchten, um die Überschwemmung in der Küche zu beseitigen. Da hat man aus Dankbarkeit erstmal ein herzhaftes Frühstück zubereitet, da wurde getanzt und Geschichten erzählt, bevor sie sich daran machten, der Verstopfung des Abflußsystems zu zeigen, was eine Harke ist. Es war auch üblich, seinen Steuerberater als Geste des guten Willens zum Grillen einzuladen und auf Libori mit den Jungs von der Müllabfuhr im Bayernzelt abzuhängen.
     Ich habe sogar mal die freundliche Kassiererin von der Kasse 3 aus dem Rewe-Markt meinen Eltern vorgestellt, weil sie so viele Treuepunkte verteilt hatte. Den Pfarrer seiner Kirchengemeinde zum gemeinsamen Urlaub einzuladen galt als selbstverständlich und natürlich half man dem Erzbischof, wenn er seinen Beichtstuhl umstellen wollte. Heutzutage muß man durch neue Rituale seine Dankbarkeit und seine Verbundenheit ausdrücken. Ein Freund von mir steht jetzt immer sonntags am Fenster und spielt Posaune. Eine Danksagung, die nicht überall gut ankommt, weil mein Freund gar nicht Posaune spielen kann. Eine Freundin von mir nannte als Huldigung ihr drittes Kind nach ihrem Installateur. „Es gibt ein Wort, das macht euch froh, das öffnet Tür und Schranke, durch euch spült wieder ab das Klo, drum sagen wir euch „Danke““, so singen die Kinder, wenn die Männer von Schomberg zum Abschied winken und ihre kleinen Spielzeugpömpel verteilen.
     Eine Nachbarin schmückte jetzt ihre Haustür mit einem Blumenkranz, weil der Schornsteinfeger zu Besuch kam und formte ihm aus Rosen das Wort „Danke“. Der Schornsteinfeger hat sich so gefreut, daß meine Nachbarin ihn geheiratet hat. Das Glück wird mehr, wenn man es teilt. So bringen Schornsteinfeger wieder Glück in die Welt.      
 

© Erwin Grosche