Ruhrpott mit Charme

Sigi Domke - "Die Koplecks in: Freunde der italienischen Oper

von Frank Becker
Dicke Rippe mit Basilikum

1969: Sieben Jahre ist es her, daß Cornelia Froboess (*1943) "Zwei kleine Italiener" besungen und Angelo Passarelli um meine Schwester geworben hat. Rocco Granatas (*1938) Schlager "Marina" und "Oh Rosi" gibt es nur noch in ganz alten Music-Boxen, und Vittorio Casagrande (1934-2008) landet mit "Eine Gitarre und tausend Illusionen" seinen fünften Top-Hit seit 1960. In Berlin geht die APO auf die Straße, der Amerikaner Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond, Wilhelm Reich propagiert die sexuelle Revolution, in Woodstock feiern 300.000 Fans beim legendären Rock-Festival die Befreiung von bürgerlichen Zwängen und die freie Liebe - und Rainer Werner Faßbinders Film "Katzelmacher" kommt in die Kinos. Womit wir beim Thema wären.

Heinz Kopleck, früher Kumpel, jetzt Fahrkarten-Kontrolleur bei den Verkehrsbetrieben, bewohnt mit Ehefrau Agnes, Sohn Hans-Werner und Omma Klärchen sein Häusken irgendwo im Ruhrgebiet zwischen Zechen und Stahlwerken. Tochter Roswitha ist schon aus dem Haus. Eine kleine, heile Welt mit Schnittchen (macht Agnes), Autoschrauberei am 17 M (macht Hans-Werner im schmerigen Overall), und Gebrassel im Keller (macht Heinz). Omma Klärchen ist schon ein wenig vonne Rolle. Und nebenan wohnt eine selbstbewußte Vertreterin der neuen Weiblichkeit, Tina: Pädagogik-Studentin, verdächtig aufmüpfig, aber doch interessant, Kindergarten-Freundin von Hans-Werner und genervt von seinem Auspufflärm.

Seit seinem Italien-Urlaub in Alfonsine will Heinz nichts mehr mit Italienern zu tun haben, deshalb vergrault er auch ganz schnell den Gastarbeiter (ja, so hießen die damals) Rudolfo Zampini, der sich zimmersuchend um das annoncierte Quartier bewirbt. Ein Katzelmacher, wie die Bayern sagen. Nicht willkommen bei Heinz Kopleck - wohl aber bei den Kopleckschen Damen. Denn der junge Mann hat Charme und Lebensart.  Wie dann doch der sangesfreudige Italiener Untermieter bei Koplecks wird, was Heinz erdulden muß, bis Dicke Rippen ihn versöhnen, was es mit der Heimsauna auf sich hat, wie Italien und Deutschland, Revolution und Bürgerlichkeit zusammenfinden und wie Omma Klärchen noch mal eine kleinen Frühling erlebt, erzählt Sigi Domke (ein 1957 geborener Kenner der Zeit) mit sehr viel Gespür, Einfühlungsvermögen, historischem und Lokal-Kolorit in "Die Koplecks in: Freunde der italienischen Oper".

Er setzt damit gradlinig fort, was Hans Henning Claer (1931-2002) 1971 in "Laß jucken Kumpel" und 1979 in "Bei Oma brennt noch Licht" zwar etwas drastischer erzählt, aber den gleichen Nerv getroffen hat wie jetzt Domke. Wir erfahren bei der Lektüre viel über eine verlorene Zeit, die doch erst knapp 40 Jahre vorüber ist. Domke schildert mit liebenswertem Humor den gesellschaftlichen Umbruch der späten 60er, an dessen Hürde Männer wie Heinz Kopleck verweigern, die Jungen und die Frauen sich aber weit offener für Veränderungen zeigen. Sigi Domke hat mit dem Buch die in Essen seit zehn Jahren erfolgreich laufende Serie von Theaterkomödien aus seiner Feder nun auch in Prosa umgesetzt. Mit großartigem Erfolg. Es ist das sympathischste, genaueste und pointenreichste Portrait der ausgehenden 60er, das ich seit Claer lesen durfte. Wer sich für diese enorm wichtige Epoche und ihre gesellschaftlichen Entwicklungen interessiert, sollte,
mal ganz abgesehen von einer Menge Happy-Ends und dem auch damit verbundenen Unterhaltungswert, die Koplecks nicht verpassen. Ich jedenfalls habe die alten Platten (s.o.) wieder rausgekramt. Meine Empfehlung: "Die Koplecks in: Freunde der italienischen Oper". Lese ich gleich nochmal.
     
Beispielbild

Sigi Domke
Die Koplecks in:
Freunde der italienischen Oper

© 2007 Verlag Henselowsky Boschmann, Bottrop

128 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, Lesebändchen
9,90 €
ISBN 978-3-922750-72-7


Weitere Informationen unter:
www.ruhrgebietsliteratur.de