Sommerstunden des Lebens (2)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens

Coraidelstein, im Januar

Mein lieber Michael...  Heute ist es besonders trostlos und kalt, und meine vier Wände scheinen den Nebel, der draußen herrscht, auch geschluckt zu haben. - Meine Sehnsucht nach Sonne und Wärme wächst ins Unermeßliche, und da heute keine Aussicht besteht, daß es besser wird, denn auch der Ofen streikt und kommt nicht gegen die Kälte an, so versuche ich mich zu trösten: - weil auch Du über dieselben Nöte klagst in Deinem letzten Brief, so will ich Dich teilnehmen lassen an dem, was ich gerade aus meinen Skizzenbüchern und Tagebuchblättern an sommerlichen Freuden ausgegraben habe... - - Du mußt nicht meinen, es sollten fertige Kunstwerke sein, die ich Dir zusende, sondern es sind nur Skizzen, so einfach wie möglich wollte ich die Stimmung ausdrücken, in der ich mich gerade befand. - -
Vielleicht gelingt es mir, etwas in Dir schwingen zu lassen von dem Glanz, der über diesen kleinen Erlebnissen schwebte, trotz der Einfachheit der Mittel. -

Tagebuchblätter

Sommersonne, - eine Straße flimmernd im Licht, die sich in blauer Ferne verliert, oder Wasser, das leise murmelnd dahingleitet, uns und unsere Träume zu anderen Ufern schaukelnd, - sich treiben lassen durch heiße Tage und helle Nächte, kein Ziel, als die Sehnsucht, kein größeres Verlangen, als die Stunden bis an den Rand zu füllen mit all den kleinen, gewaltigen Herrlichkeiten, sie mit empfänglichen Sinnen in sich hineinzutrinken und zu genießen - unbeschwert, offen, losgelöst. -

Margartehensee, im Juli

Du freundlicher Tag, an diesem kleinen See, der von kupferroten Kiefernsäulen umrahmt ist, die
schweigend ihre bizarren Schatten auf die stille Wasserfläche werfen. Der Wald ist locker und unendlich ringsherum, zwischen den Stämmen steht hier und dort ein dunkles Wachholdermännchen und hohes Gras, von Feuchtigkeit glitzernd. - Die Wasserrosen liegen wie beruhigende Hände auf der Fläche und zaubern mit ihren zarten Blüten einen Sternenhimmel daraus. Ein warmer Regen hat mit seinem feinen Klingen auf Zeltdach und See, Schilf und Badesteg mich sanft schlafen lassen; eine frische Morgenbrise vertreibt ihn und auch die Nebelfetzen, die auf dem See und zwischen den Bäumen hängen. Ich klettere auf den nassen Steg, dessen Planken grün und verfallen sind, spüre die Wärme des Wassers vor der Berührung.

Tauche hinein und lasse die Tropfen sprühen im ersten Licht, schwimme vorsichtig zu der Seerose, die ihre Schönheit streng verschlossen hält. Ich trockne mich in Wind und Sonne im Gras vorm Zelt, setze das Kaffeewasser auf und lasse den Rauch der Morgenzigarette im Wind treiben. - Diese köstliche Stille vermag uns in seltsame Stimmungen zu versetzen, fern von unserem Alltag, besonders, wenn wir allein sind. Die tanzende Libelle ist fast eine Wasserjungfrau im bunten Schleier, und Faun und Nymphe würden uns kaum überraschen, wenn sie neckend und spielend hinter einem Schilfbüschel auftauchten. -



Folgen Sie unserer jungen Freundin morgen weiter durch ihre "Sommerstunden des Lebens"!


Illustrationen: Gisela von Baum