Sommerstunden des Lebens (10)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens

Tivoli, im September

Denke Dir, Michael, während Du im Regen sitzt, schreite ich in flimmernder Sommerhitze über blendendweiße Marmorplätze, umspielt von Glutwellen, die Sonne und Stein sich wechselnd zuwerfen, und flüchte zuweilen in das plötzliche Dunkel eines Kirchenportals. -
In der steinernen Stille geht das Leben mit ruhigem Schritt, ich bemühe mich, leise aufzutreten, um nicht störende Echos zu wecken. Manchmal spielt eine Orgel, und die Töne perlen von den Gewölben herab, einzeln oder in Akkorden. - Schmale hohe Kirchenschiffe, in die ich eintrete, mit ernsten, gesammelten Heiligen, oder riesige Hallen mit wogenden Formen, deren Plasiken wie vom Sturmwind gepeitscht erscheinen. -
Helle, sonnige Säle, gefüllt mit Buntheit und Glanz, wie irdisches Jauchzen. - In allem spürt man noch Gedanken und Seufzer, Tränen und Frohlocken längst vergangener Generationen, von deren Leben und Ringen noch die steinernen Zeugen und einige Grabplatten künden. -

 
Tagebuchblatt, Florenz

Auf der Piazza dei Signori mit ihren roten Quadern und ernsten Fassaden, vom torre des Palazzo vecchio gekrönt, auf ihr sehe ich "La Traviata" in einer warmen Nacht, und die Menge braust den Beifall, tagelang klingen die Melodien durch die Stadt. - Auf derselben Stelle wurde Savonarola verbrannt und fand das Autodafé berühmter Kunstwerke statt, aus Eifer um Werte, die verblaßt sind, aus Machtgier und heiliger Verzückung.

 
Tagebuchblatt, Assisi

Als
ich aus der Kirche auf den kleinen, sonnenhellen Platz von Assisi hinaustrete, habe ich noch den Abglanz im Gesicht, den Giottos Fresken und der Schwung der Gewölbe und Pfeiler auslösten. Werde überwältigt von dem Blick in die Tiefe, die sich weit bis zum Horizont dehnt, das Meer in der Ferne ahnen lassend; die enge Stadt klebt wie ein Raubvogelnest am Felsen.





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Illustrationen: Gisela von Baum