Sommerstunden des Lebens (15)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens


Coraidelstein, im April


Michael, mein Lieber, ich bin heute, eigentlich schon einige Tage, mit meinem Dasein ganz und gar nicht zufrie­den, fast ärgert mich meine eigene Nase, da bleibt nichts anderes als zu fliehen vor dem, was mir nicht paßt, und ich wünsche mich in Gedanken fort. - Ich denke an viele einsam liegende Häuser, Dörfer, Städtchen und Städte, die mein unruhiges Herz zum
Träumen und Bleiben verführt haben. - Ich male mir aus, wie sich darin leben läßt, will aus meiner Hülle schlüpfen wie ein Schmetterling, ein einfacher Mensch in säuberlich abgezirkelter Lebensart sein. - Immer hat mich das Unkomplizierte angezogen, doch der Wille dorthin hat dann nicht weiter als bis zum Träumen und dabei zu einem vollkommenen Genießen dieses Traumdaseins geführt. - Höre, mein Lieber, jetzt werde ich die Wundertruhe öffnen, ein bißchen zaubern und in verschiedene Lebensformen versinken, vielleicht gefällt Dir die eine oder die andere, und Du magst sie mit mir gemeinsam durchleben, - wir schöpfen den Rahm in ein paar Stunden, wozu andere ein ganzes Leben ge­brauchen. -
 
Ein Fischer bin ich am Haff und flicke abends meine Netze, auf der Bank vor dem Haus sitzend, dessen Strohdach wie eine warme Haube in sein helles, freundliches Gesicht hängt, mit den blanken Fensteraugen und den Sonnenblumen rund herum, die aufrecht und stolz ihr Strahlenhaupt tragen. - Die Boote liegen gut ver­täut am Steg, und ein letzter feuriger Glanz tanzt auf dem weiten Wasser; hie und da blitzt ein Mövenflügel, vom letzten Licht getroffen, silbern auf. - Meine Boote liebe ich sehr, besonders das mit dem rostroten Segel, es reagiert auf den kleinsten Druck der Hand und geht hoch an den Wind. -
 
Ein großer, alter Bauernhof liegt an meinem Weg, mit einer mäch­tigen Linde, die das Dach beschirmt, gepflegtem Gerät, sauberem Vieh und dem Geruch von Milch und Butter in der Diele; deren Klinker frisch gescheuert sind, dort will ich ein Bauer sein und sehe mich bei der heißen Arbeit auf den Feldern, in den zufrie­denen Ruhestunden auf der Bank unter meiner alten Linde. - Ein Verlangen spüre ich nach diesen einfachen Sorgen um Vieh und Brot, dem Denken, wo man wie das Korn ist, das - in den Boden gesenkt - nur zu keimen und zu wachsen braucht, bis es unter der Sense fällt, dessen Blühen und Reifen eine Selbstverständlich­keit aus einer gesunden Kraft heraus ist. ­-


Folgen Sie unserer jungen Freundin morgen weiter durch ihre "Sommerstunden des Lebens"!
  Illustrationen: Gisela von Baum