Ein schwarzer Hiob

Zora Neale Hurston – „Barracoon”

von Frank Becker

Ein schwarzer Hiob
 
Das Schicksal eines in die amerikanische Sklaverei
verkauften Yoruba
 
Man mag sich die Brutalität einfach nicht vorstellen, mit der afrikanische Völker ihre Nachbarstämme mehr als 300 Jahre lang überfallen, massakriert und die als Handelware am Leben Gelassenen als Sklaven an „zivilisierte“ europäischen Staaten wie Großbritannien und an Nordamerika verkauft haben. Man muß sich das mit Zahlen verdeutlichen: Allein von 1801 bis 1866 wurden schätzungsweise 3.873.600 Afrikaner von Afrikanern versklavt und an Araber, Amerikaner und Europäer verkauft. Die Zahl der bei den Raubzügen abgeschlachteten Menschen dürfte noch darüber liegen. Was in den 300 Jahren davor geschah, liegt weitgehend im Dunklen.
Einer der letzten, noch nach der internationalen Ächtung des Sklavenhandels gefangenen und wie Vieh verkauften Afrikaner legte gegen Ende seines Lebens Zeugnis von seinem Schicksal ab. Oluale Kossola war 19 Jahre alt, als im Jahr 1860 Krieger des Königs Glele von Dahomey die Stadt Bante auf dem Gebiet der Yoruba überfielen, einer Region im Westen Afrikas, die heute in etwa den Territorien von Benin, Süd-Niger und West-Nigeria entspricht. 
 
Bereits 1927/31 hatte die amerikanische Schriftstellerin Zora Neale Hurston in langen, einfühlsamen Gesprächen in Plateau-Magazine Point/Alabama die Erinnerungen von Oluale  Kossola, genannt Cudjo Lewis (ca. 1841-1935), dem letzten bekannten überlebenden Afrikaner des letzten amerikanischen Sklavenschiffs „Clotilda“ notiert. Die New Yorker Philanthropin Charlotte Osgood Mason hatte das Unternehmen gefördert und finanziert.
Es ist einfach erschütternd zu lesen, mit welcher Grausamkeit die dahomeyischen Krieger (gut die Hälfte davon Frauen!) über die Isha, die zum Volk der Yoruba gehörten, herfielen, allen die Köpfe abschlugen, die sie glaubten nicht verkaufen zu können und dann in langen Märschen die gefangenen jungen Männer und Frauen zur Küste nach Ouidah brachten, einen Handelspunkt für Sklaven mit Reede nahe der Bucht von Benin. Nach den dort als Quartier dienenden Barracks wurden sie Barracoons genannt. Die Angst und die Ungewißheit über das eigene Schicksal und das der Verwandten waren für die Geraubten unerträglich.
Schließlich wurden sie - zu Paaren von je einem Man und einer Frau - an den amerikanischen Sklavenhalter Timothy Meaher und seinen Kompagnon, den Schiffseigner William Foster verkauft und in einem 70-tägigen Seetransport, der streckenweise zu einem Katz- und Maus-Spiel mit britischen Kreuzern wurde, durch die Seeblockade nach Mobile/Alabama gebracht, wo sie als Arbeitskräfte ohne Rechte und Bezahlung eingesezt wurden.
Wir erfahren nicht sehr viel von diesem anschließenden Arbeits-Leben von Cudjo Lewis als Sklave auf einem Flußschiff, das 1865 mit der Entlassung in die Freiheit eine Wende nimmt. Zusammen mit anderen befreiten Afrikanern gründet er später auf gemeinsam gekauftem Land die Stadt Africatown, die später in Plateau-Magazine Point umbenannt wurde.
Kossola heiratet 1880 seine langjährige Partnerin Abile (Clara Turner), sie bekommen sechs Kinder, von denen ein Sohn schon früh stirbt, ein weiterer aus einem Hinterhalt von einem Hilfspolizisten  erschossen wird, ein anderer von einem Zug überfahren. Kossola selbst wird ebenfalls von einem Zug mit seinem Pferdekarren auf einem Bahndamm angefahren und wird Invalide. Schadenersatz bekommt er in keinem Fall. Er überlebt alle seine Kinder, auch seine Frau, die 1905 stirbt. Bis zu seinem eigenen Tod 1935 beschäftigte ihn die lokale Baptisten-Kirche als Küster.
 
Diese bisher unveröffentlicht gebliebene Lebensgeschichte mit den eigenen Worten des letzten amerikanischen Sklaven ist ein einmaliger Zeitzeugenbericht, der für die Veröffentlichung 1931 keinen Verlag gefunden hatte. Erst 2018 griff Deborah G. Plant den Stoff erneut auf, der wegen seiner authentischen Sprache und der Perspektive des Betroffenen nun Beachtung fand und zum Bestseller wurde. Es ist vor allem die Geschichte eines Mannes, der alles verlor: Heimat, Familie, Freiheit, Kultur – und der in der neuen Welt, in die ihn die Sklaverei zwang, wieder alles verlor. Ein Hiob der Neuzeit.
Vorwort und Einführung sowie ein Anhang mit Nachwort, Glossar, Anmerkungen, Erzählungen und der Geschichte von Africatown machen das schwierige Thema zugänglich.

Zora Neale Hurston – „Barracoon”
Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven
Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring
Originaltitel: Barracoon. The Story of the Last “Black Cargo”
© 2020 Penguin, 224 Seiten, gebunden, Lesebändchen
20,00 € [D] / 20,60 € [A] / 28,90 sFr * (* empf. VK-Preis)
 
Weitere Informationen: www.randomhouse.de