Leicht wie ein Baiser

Yorn – „Gast im Glück“

von Frank Becker

Leicht wie ein Baiser
 
Die Autobiographie des Modeschöpfers Yorn
 
Der Bremer Kaufmannssohn Jürgen Michaelsen (*1935) schlug nach Ansicht seiner Familie (nicht seiner Schwester) aus der Art. Schon als Kind interessierte er sich mehr für Fragen der Mode als für Handel und Wandel. Aber weil man in Bremen auch liberal ist, ließ man den jungen Mann nach dem Ende der Schulzeit am Hermann-Böse-Gymnasium (das u.a. auch Ernst Albrecht, Klaus J. Jacobs, Hans-Joachim Kulenkampff und Peter Weiss besuchten) gewähren und ermöglichte ihm einen Versuch, in Paris, dem Mekka der Mode, sein Glück zu versuchen.
Es ging ihm wie dem Hans im Glück, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Überraschend von Christian Dior gleich bei der ersten Begegnung als Assistent eingestellt machte er seine ersten Schritte in der Welt der Haute Couture in einem der ersten Häuser der Branche. Von da an gelang ihm, liest man seine Autobiographie „Gast im Glück“, im Grunde alles. Er bekam von Dior den Namen Yorn, gründete damit ein erstes Label an den Champs-Élysées, wurde von der Modewelt, vor allem von den Einkäufern angenommen und tauschte in der Folge  jeden Erfolg im nächsten Zug gegen einen größeren ein. 
 
Er beschreibt das in seinen Erinnerungen heiter, leicht und unbedingt lebensbejahend, ohne viel Aufhebens um sich selbst zu machen. Das liest sich höchst unterhaltsam und unkompliziert. Wir tauchen mit ihm in die Pariser Bohème der 1950er Jahre ein, folgen Yorn  ins lebenslustige Rom der Via Veneto der 60er und ins Big Business, nachdem er in den 60ern erst die deutsche Warenhauskette Karstadt für seine Prêt-à-porter-Kollektion gewinnen konnte und in den 70ern vom damals größten deutschen Versandhaus Neckermann für eine weitere Produkt-Linie verpflichtet wurde. Namen wie die von Christian Dior, Coco Chanel, Yves Saint Laurent, Sorelle Fontana und Suzanne Vigneron fallen en passant, wichtiger scheinen ihm die Menschen in seinem Betrieb und die Nachbarn in seinem Wunsch-Heimatort Moissac-Bellevue in der Provence.
Er stattet Marks & Spencer, Olympic Airways und den FINA-Konzern mit seinen Modellen aus, weil er Mode für alle macht - und schwimmt oben. Das mag zum Teil auch der Verlagerung der Massenproduktion nach Asien zu verdanken zu sein, die von den Großabnehmern in Hongkong, Macau, auf den Philippinen und in Südkorea organisiert wird.
Bleibt anzumerken, daß im ganzen Buch nicht ein Wort über die Liebe fällt.
 
Jean-Jacques Sempé hat Yorns Erinnerungen mit 27 teils farbigen und teils ganzseitigen Zeichnungen so charmant illustriert, daß man die Stimmung, die über diesem federleichten Büchlein liegt, das man wie Baiser á limon genießen kann, auch über diese zauberhaften Bilder aufnehmen kann. Eine große Ehre für Yorn, denn auch literarischen Figuren von Patrick Modiano (Catherine, die kleine Tänzerin) und Patrick Süskind (Die Geschichte von Herrn Sommer / Ein Kampf) verlieh Sempé unvergeßliche Gestalt.
 
Yorn – „Gast im Glück“
Mit Zeichnungen von Sempé
© 2020 Diogenes Verlag AG, 215 Seiten, gebunden, davon 16 Seiten mit Fotos - ISBN: 9783257070880
22,- €

Weitere Informationen: www.diogenes.ch