Ein kammermusikalisches Juwel - adäquat interpretiert

Franz Schubert Streichquintett C-Dur, D 956, op. post. 163

von Johannes Vesper

Sinfonieorchester Wuppertal -
Kammermusik Extra I
 
Franz Schubert
Streichquintett C-Dur, D 956, op. post. 163
 
Von Franz Schuberts Tod am 19.11. 1828 hatte die Presse damals kaum Kenntnis genommen. In den Monaten zuvor ging es ihm wechselhaft. Zwar „kränkelte und medizinierte“ er, bewältigte aber im Oktober immerhin noch zu Fuß die 70 km von Wien nach Eisenstadt zum Grabmal Haydns. Ob er nun an den Spätfolgen der Syphilis oder einer Typhuserkrankung verstarb, ist nicht mehr zu klären. Jedenfalls aber litt er vielleicht sogar sein Leben lang unter „fatalem Erkennen der miserablen Wirklichkeit“. Trotz allem komponierte er zwei Monate vor seinem Tod noch im Umzugsstress sein größtes kammermusikalisches Werk, das Streichquintett C-Dur (Streichquartett mit 2 Violoncelli), welches musikalisch weit in die Zukunft wies und erst mehr als 20 Jahre nach seiner Vollendung uraufgeführt wurde. Die Verleger konnten sich lange nicht dazu entschließen, dieses Quintett überhaupt zu veröffentlichen. Zwischen höchstem Glück und jener „miserablen Wirklichkeit“ bewegt sich auch diese hochromantische Kammermusik, dem vielleicht bedeutendsten romantischen Kammermusikwerk des 19. Jahrhunderts. Wegen „miserabler Wirklichkeit“ infolge Corona kam das disziplinierte Publikum an diesem wunderschönen sonnigen Nachmittag mit Mund-Nasenschutz in die Historische Stadthalle Wuppertals. Nur zu 1/3 durfte der Mendelssohn-Saal besetzt werden. Immerhin, welch ein Fortschritt gegenüber der kultur- und musiklosen Zeit der vergangenen Covid-19- Monate.
 
Im Gegensatz zu den Mozart- und Beethovenschen Streichquintetten mit jeweils zwei Bratschen erweiterte Schubert die Quartettliteratur um ein zweites Violoncello. Der so bedingte tiefe, melancholische Klang entsprach möglicherweise eher der Stimmung des Komponisten zwei Monate vor seinem Tod. Die Celli teilen sich ihre Aufgabe als Baß im Quartett und zusätzlich sonorem solistischem Gesang in mittlerer und auch stellenweise hoher Lage.


Foto © Johannes Vesper

Der gehaltene C-Dur-Akkord zu Beginn des Werks wird schnell in den romantisch unsicheren verminderten Septakkord erweitert, aus dem der erste musikalische Gedanke mit Triller hervorbricht, bevor die beiden Celli parallel das lyrische Seitenthema anstimmen. Düster und konfliktreich entwickelt sich die gewaltige, nahezu sinfonisch und bedrohlich anmutende Durchführung. Später wird das lyrische Seitenthema von Cello und dunkler Bratsche erneut angestimmt. Schmelzend singen die Violinen in der Coda. Das Eingangsmotiv wird zwischen Violoncello und Violinen buchstäblich zerrissen, bevor der Satz im elegischen Abgesang seelenvoll endet. Im langsamen Adagio des 2. Satzes, einer dreiteiligen Liedform A-B-A, pulsieren zunächst das punktierte Motiv der 1. Geige gegen Cello-Pizzicati und unendliche Streicherharmonien Aber die Stimmung wechselt , wenn bedrohliches Cello-Tremolo in der Tiefe gegen inzwischen synkopale Melodiefetzen der oberen Streicher anwühlt. Stehende Klänge, spannungsvoll in lupenreinem Zusammenspiel gegen melancholische lebendige Dynamik gesetzt, bilden reine Emotionen ab. Sein Tagebucheintrag von 1824 betrifft zwar nicht das später komponierte Quintett, trifft aber unbedingt auch darauf zu: „Meine Werke sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden“. Die Zuhörer wissen sofort, wovon die Rede ist. Im lebhaften 3. Satz, ebenfalls der Form nach A-B-A, macht sich ein flinkes burschikoses Scherzo breit. Nach dem ersten Teil des Satzes breitet sich ein rezitativischer Mittelteil mit dunklen Akkorden aus. Bratsche und Violoncello steigen unisono in die Tiefe. Das Triller-Motiv des Beginns führt zu trauriger Ruhe. Ahnt Franz Schubert hier seinen Tod? Ob sich aus dieser Stimmung noch einmal Leben entwickelt? Ja, geschwind braust der A-Teil des Satzes noch einmal vorüber. Ein Totentanz?


Foto © Johannes Vesper

Im Allegretto des Schlußsatzes brechen Wiener Ländler und Wiener Charme aus, wobei Donauschmalz von der hoch virtuosen 1. Geige elegant und mühelos umspielt wird. Endlose Harmonien halten gegen ruhig abfallend gebrochene Akkorde, bevor das volkstümliche Rondothema wieder erklingt. Im Fugato wird gegen Schluß das Tempo immer weiter angezogen und mit ausdrücklichem Vorhalt wird das Ende des Finales furioso erreicht. Im Gegensatz zu Schubert an diesem kammermusikalischen Abend überhaupt nicht an miserabler Wirklichkeit leidend spendete das begeisterte, reduzierte Publikum großen Applaus und stehende Ovationen für Liviu Neagu-Gruber und Axel Heß (Violinen), Momchil Terziyski (Viola) sowie Karin Nijssen-Neumeister und Hyeonwoo Park (Violoncello), sämtlich Mitglieder des Sinfonieorchesters Wuppertal, die sich dieses kammermusikalischen Juwels aus Schuberts Todesjahr in höchst adäquater Weise angenommen haben, obwohl nicht dauernd als Kammermusikensemble zusammen spielend. Chapeau!
 
Johannes Vesper