Ciceros Kriterien

Anonymus – „Warnung aus dem Weißen Haus“

von Frank Becker

Ciceros Kriterien
 
Donald Trump erfüllt sie nicht
 
 
„Der, der sich von der Torheit des unwissenden Mobs tragen läßt,
soll nicht als großer Mann gezählt werden.“
Cicero
 
Es könnte billig wirken, aus der scheinbar sicheren Distanz der Anonymität mit einem Buch gegen den höchst umstrittenen amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu schießen, um dessen Wiederwahl zu verhindern. Läßt man sich aber auf dieses Buch ein, wird sehr schnell zum einen deutlich, wie wichtig diese Buch nicht nur für die USA ist, zum anderen, in welche Gefahr sich der Autor begibt, denn mit Donald Trump schafft er sich einen mächtigen Gegner, wie er skrupelloser, nachtragender und rachsüchtiger in der westlichen Welt kaum zu denken ist und der vor Machtmißbrauch nicht zurückschreckt. Sicher legt er Blindspuren, wenn er durchblicken läßt, ein akademisch gebildeter Historiker zu sein und zum Beleg neben amerikanischen Präsidenten der Vergangenheit u.a. Sokrates, Cicero, und Marc Aurel zitiert. Aber riskant ist das Unterfangen allemal, und es entsteht nicht der Eindruck, der Autor könnte etwas erfunden haben. Mit Fakten, Gesprächsprotokollen und Anekdoten zeichnet Anonymus das Porträt eines schrecklich dummen und gerade dadurch wahrlich gefährlichen Mannes, eines ohne eigenen Verdienst steinreichen, rücksichtslosen Geschäftsmannes, eines Parvenü ohne Moral, eines Kleon des 21. Jahrhunderts, eines unflätigen Populisten und pathologischen Lügners, der nach der Maxime regiert: Wahre Macht ist Angst.
 
Niemand, der bisher über Trump geschrieben hat, war ihm so nah wie Anonymus, schreibt der Verlag im Klappentext, und: Der hochrangige Regierungsmitarbeiter berichtet aus dem innersten Kreis von schockierenden Verfehlungen des US-Präsidenten (…). Donald Trump hat unmittelbar nach seiner immerhin demokratischen Wahl die Maske des konservativen Politikers fallen lassen und zeigt seither, was und wer er wirklich ist: Man kann es nicht anders sagen: Trump ist ein Rüpel, um den Autor zu zitieren und: Ein Soziopath. Er nennt sich selbst mit gen Himmel gerichteter Geste de „Auserwählten“, bekennt offen: „Wie sie wissen, führe ich einen Krieg gegen die Medien“ und erklärt jeden zum Feind, der ihm widerspricht, Nicht nur einmal hat er in seiner Amtszeit versucht, seine Macht zur Verfolgung solcher „Feinde“ zu missbrauchen. Daß seine Diktion und seine Methoden sich dabei nicht wesentlich von denen bekannter Diktatoren unterscheiden, bei denen er sich heftig anbiedert und die er füt tolle Kerle hält – ich denke hier an Erdogan, Putin, Kim, Bolsonaro, Duerte und bin Salman, die Anonymus (außer Bolsonaro) auch namentlich nennt – wirft ein bezeichnendes Licht auf den mächtigsten Mann der westlichen Welt. Aber was soll man mehr über einen US-Präsidenten sagen, der im verbalen Schlagabtausch mit Kim Jong Un, dem Diktator Nordvietnams zu Schwanzvergleichen bezüglich der Größe des Atomknopfes greift und nach einem Treffen mit dem Little Rocket Man sagt: „Wir haben uns ineinander verliebt.“ Das und vieles andere aus seinem Mund klingt schon nach einem Fall für die klinische Psychiatrie.
 
Trump geht herrisch mit seinen Mitarbeitern um, feuert nach Lust und Laune alle und jeden, die nicht vor ihm kriechen oder Widerworte geben. Er ist nicht in der Lage, einen zusammenhängenden Text zu lesen, der länger als eine Twitter-Nachricht ist, unfähig, fachlichen Ausführungen seiner Minister oder Spezialisten konzentriert zu folgen, völlig unberechenbar bei Entscheidungen und deren Rücknahme kurze Zeit später. Dazu ist er im höchsten Maße unmoralisch. Donald Trump ist ein „Elefant im Porzellanladen“, für den Ciceros Kriterien Gerechtigkeit, Verläßlichkeit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit Fremdworte sind. Die Washington Post, die er neben CNN und vielen anderen als „Fake News“ beschimpft, konnte ihm für die ersten 900 Tage seiner Amtszeit 11.000 (in Worten: Elftausend) Falschbehauptungen nachweisen.
Er ist Oberbefehlshaber einer der größten und vermutlich der effektivsten Armee der Welt, aber er hat sich über eine Gefälligkeits-Diagnose (Fersensporn) feige vor dem Wehrdienst gedrückt, als er zu Zeiten des Vietnam-Krieges eingezogen werden sollte.
Daß er zudem auf quasi allen Sektoren gnadenlos inkompetent und fahrlässig ignorant ist, hindert ihn nicht, zu glauben klug zu sein und mehr noch von sich zu behaupten allwissend zu sein: „Niemand weiß mehr über (Wahlkampffinanzierung, Gerichte, Handel, Steuern, ISIS, das System, Technologie, Drohnen, Sicherheit) als ich!“ (S.85/86)
Anonymus beschreibt beklemmend die Versuche Trumps die Justiz zu beeinflussen, ja sogar  sein Recht zur Begnadigung dazu zu benutzen, Mitarbeiter zu ungesetzlichen Handlungen zu überreden, nach dem Motto: Mach dies und das, und wenn es rauskommt, kann ich Dich ja begnadigen. (S. 158/59 – S. 175 ff.) Daß Trump das FBI, andere Sicherheitsbehörden sowie die Geheimdienste beschimpft und unterminiert, um seine Macht zu festigen, ist ein weiterer Skandal, dem scheinbar niemand etwas entgegenzusetzen hat oder wagt.
 
Der Plan, Trump zusammen mit anderen Eingeweihten unter den Regierungsmitarbeitern zu bändigen („Der Präsident muß mit dem Twittern aufhören!“), ist dem Bekunden dieses Buches nach gescheitert: Der mächtigste Mann der Welt ist nicht steuerbar. Es gäbe zwar nach dem 25. Verfassungszusatz die Möglichkeit ihn abzusetzen, aber das käme einem Umsturz gleich und würde die USA in eine Krise stürzen, die zu Unruhen nicht absehbaren Ausmaßes führen könnte. Umso wichtiger ist, daß er - und mit ihm seine Apologeten - keine zweite Amtszeit bekommen darf. Man möchte sich nicht ausmalen, was seine Wiederwahl für Folgen hätte. Ein interessantes Streiflicht ist, daß der Autor kein Wort über die wirtschaftlichen und machtpolitischen Verflechtungen des Trump-Clans verliert, der sich wie ein Geschwür ins Weiße Haus und seine Administration hineingewuchert hat. Und Trumps beklagenswerte Ehefrau Melania wird nicht einmal erwähnt.
Eine empfehlenswerte, wenn auch verstörende Lektüre.
 
Anonymus – „Warnung aus dem Weißen Haus“
Ein hochrangiger Trump-Mitarbeiter packt aus
Übersetzt von Angela Koonen, Dietmar Schmidt, Rainer Schumacher
© 2019 Quadriga Verlag, 336 Seiten, Paperback
ISBN: 978-3-86995-097-6
20,- €

Weitere Informationen: https://www.luebbe.de/quadriga/