Regionale Grundlagenforschung führt zu Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Prof. Dr.-Ing. Kai Dietrich Wolf und neue Technologien

von Uwe Blass

Prof. Dr.-Ing. Kai Dietrich Wolf - Foto © bildwerkeins - paul walther

Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, der Erkenntnisgewinn und das neu generierte Wissen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und sozialen Institutionen. Mit den „Bergischen Transfergeschichten“ zeigt die Bergische Universität beispielhaft, wie sich Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit in die Region einbringen, mit anderen Partnern vernetzen und die Gesellschaft so aktiv mitgestalten.
 
Regionale Grundlagenforschung führt zu Kooperation
mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
 
Prof. Dr.-Ing. Kai-Dietrich Wolf über die Arbeit des Instituts für Sicherungssysteme (ISS) der Bergischen Universität am Standort Velbert
„Die Unternehmen hier müssen mutiger werden und mit überregionalen Partnern zusammenarbeiten“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Kai Dietrich Wolf, der seit 2009 die Geschicke des Instituts für Sicherungssysteme (ISS) der Bergischen Universität in Velbert leitet. Als er vor elf Jahren nach Wuppertal kam, haben ihn vor allem die Unternehmenskontakte interessiert. „Wuppertal ist durchaus bekannt für Sicherheit, für den Fachbereich Sicherheitstechnik und hat eine gute Reputation. Das Bergische Land ist eine interessante Region“, sagt er, denn „es ist gar nicht so einfach für Wissenschaftler, sich mit einem Thema Unternehmenskontakte und damit ein Netzwerk aufzubauen. Das fand ich besonders attraktiv.“ Seitdem unterrichtet er im Fach Mechatronik junge Studierende und führt gleichzeitig das Velberter Institut, zu dessen gegenwärtigen Forschungsschwerpunkten die Grundlagen der quantitativen Sicherheitsanalyse (Security) und die Anwendung innovativer Technologien für moderne Systeme zur Zugangskontrolle gehören. „Wir machen Grundlagenforschung aus dem, was an Wissen existiert und sich in Jahrzehnten im Bereich Sicherungssysteme aufgebaut hat.“ Wolf nutzt da die lange Tradition der Region, die z.B. im Bereich Beschlagherstellung über eine Menge Sicherheitswissen verfügt.
 
Eine Startup-Gründung 1995 läßt die Region aufhorchen
Ein Weckruf für die Region war in diesem Zusammenhang die Gründung des Unternehmens SimonsVoss Technologies im Jahre 1995, die heute auf ihrer Internetseite mit dem digitalen Schließzylinder werben. „Die sind sehr erfolgreich mit elektronischen Schließsystemen am Markt eingestiegen“, berichtet er, „das war der Weckruf für die Region.“ Schon damals rückte die Grundlagenforschung in den Fokus, deren Knowhow bei der Entwicklung neuer Technologien unentbehrlich ist.
Zu den Forschungsinhalten des Instituts gehört u.a. die Vorhersehbarkeit veränderter Sicherheitsbedürfnisse, also keine Kristallkugelweisheit, sondern das Verständnis technologischer Entwicklungen auf die Anforderungen sich verändernder Systeme. „Es gibt gesellschaftliche Veränderungsprozesse und technologische Entwicklungen. Und wenn man die Mechanismen der Sicherheit verstanden hat und weiß, was die Sicherheit eigentlich ausmacht, also Schutz im weitesten Sinne in Form von Türen, Toren, Beschlägen, Zäunen und Geländesicherung oder Überwachungseinrichtungen, kann man auch nachvollziehen, wie sich die Anforderungen an die Technologien ändern.“ Und da sei ein besonderer Paradigmenwechsel zu beobachten, gibt der gebürtige Wiesbadener zu bedenken, denn über die Zeit habe man gesehen, daß z.B. der Einsatz von Drohnen neue Denkmuster verlange, da alle bisherigen Sicherungssysteme bodengebunden gewesen seien. „Sie haben Zäune, und Barrieren um Eindringlinge abzuhalten und mit der Drohne können sie einfach drüber fliegen.“ Wolf beschäftigt sich in diesem Zusammenhang auch mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz, gibt aber unumwunden zu: „KI ist immer auf Lernen angewiesen, also Trial-and-Error. Das funktioniert im Sicherheitsbereich nicht. Wenn sie Fehler machen, dann sind sie weg vom Fenster. Die Evidenz, die man in anderen Bereichen hat, gibt es bei uns nicht.“
 
Sicherheitsstandards über Metriken
Ein Forschungsergebnis und Alleinstellungsmerkmal des Instituts ist eine sogenannte Sicherheitsmetrik für physische Sicherheit. Anders als im Trial-and-Error-Bereich können Metriken zielsichere Informationen liefern. „Ich kann mir über Metriken z.B. eine optimale Zahl herleiten, die mir die Sicherheit, in Form einer Risikobemessung oder Risikoreduzierung, einer Infrastruktur wiedergibt“ erläutert der Wissenschaftler. Diese sollten darüber hinaus auch beliebig reproduzierbar sein, also jedes Mal zum gleichen Ergebnis führen. So könne man Risiken gegeneinander abwägen. Gerade im Safety-Security-Bereich gebe es widersprüchliche Anforderungen, betont Wolf, bestes Beispiel sei die gegenwärtige Pandemie, wo es die Konsequenzen zwischen dem absoluten Lockdown und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen zu bedenken gelte. Auch Stromnetzbetreibern könne man durch Metriken, in der Risikobetrachtung etwa bei Netzausfall oder einer Bedrohung der Stromnetze, helfen.
 
Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem Wissen aus der Region
Mit dem Mut, auch auf der nationalen und internationalen Bühne selbstbewußt aufzutreten, baut Wolf eine beeindruckende Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf. „Es geht dabei um ein neues DLR Institut für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen“, erzählt er begeistert, „es geht z.B. um kritische Infrastrukturen wie Stromnetze, IT-Netze, Wasserversorgung, Verkehrsinfrastrukturen und Flughäfen. Man hat sich vorgenommen, die Resilienz dieser Infrastrukturen zu bewerten, damit man quasi echtzeitfähig den Sicherheitsverlauf einer kritischen Infrastruktur abbilden kann.“ Hier kommt ihm die über zehnjährige Erfahrung aus der Grundlagenforschung zugute. „Man ist aufgrund der Veröffentlichungen auf uns zugekommen und möchte auf diesen Grundlagen aufbauen.“ Besonders stolz ist der 52jährige, daß sein erster Doktorand, Dr. Daniel Lichte, die Leitung der dortigen Grundlagenabteilung leiten wird und betont noch einmal den Erfolg, der auf der Arbeit in der Bergischen Region fußt. „Unsere Grundlagen sind die Basis für das, was da passiert. Die haben wir geschaffen! Wir haben das Wissen aus der Region genommen und daraus Grundlagenforschung gemacht, es also in eine wissenschaftlich verwertbare Form gebracht. Das wird jetzt angewandt, das wird weiterentwickelt und das finde ich sehr spannend.“ Viele zukünftigen Möglichkeiten in der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft können sich aus diesem Projekt noch ergeben, daher sieht Wolf in diesem Bergischen Projekt auch ein starkes Signal für die Bergischen Unternehmen und wird nicht müde, diese auch zu motivieren. „Ich habe mittlerweile über Rotary, wo ich in Velbert Präsident bin, viele Unternehmen kennengelernt“, sagt er und wirbt in persönlichen Gesprächen und gemeinsamen sozialen Aktivitäten für den Blick über den Bergischen Tellerrand. „Die Unternehmen kooperieren gerne mit denen, die sie kennen. Das ist aber nicht immer die richtige Strategie um in die zukünftige Digitalisierung zu starten. Da muß man sich überlegen, ob man sich nicht auch mal mit den wirklich Großen zusammentut, und das ist eigentlich mein Ziel!“ Der Wissenschaftler plädiert für satte Investitionen in Innovation. Der Paradigmenwechsel hin zur Digitalisierung lasse geringe Investitionen nicht mehr zu und fordere neue Wege. „Hier sind ja Unternehmen, die haben mitunter 4000 bis 6000 Mitarbeiter im digitalen Bereich“, weiß er, „an dieser Stelle braucht es mehr Selbstbewußtsein. Wir hätten gerne alle, daß die Welt kommt und sagt, wie toll ist es im Bergischen Land. Das wird aber nicht passieren. Aber das, was wir haben, ist ja gut! Dann muß man sich mit größeren Partnern zusammentun und schauen, was man noch lernen kann.“
 
Warum Menschen neue Technologien als Bedrohung empfinden
Neue Technologien bringen auch bisher unbekannte Sicherheitsrisiken mit sich. Die drahtlose Kommunikation ist eine davon. Die Bevölkerung kennt sie in Form von EC-Karten oder Chipkarten. Viele weigern sich, diese neuen Entwicklungen anzunehmen und daß liege nach Wolfs Einschätzung an der Tatsache, daß die Menschen mit der Bedrohung nicht vertraut seien. „Handtaschendiebstahl, Brieftaschendiebstahl, das kennen wir. Aber heute können sie einen Schlüssel auf den Tisch legen und Spezialisten erkennen den und können ihn auch direkt nachmachen. Oder ein Autoschlüssel, den man nicht mehr ins Zündschloss stecken muß, kann ohne Probleme mit einem Laptop angezapft werden, um das Funksignal zu verlängern. So kann jemand anderes mit ihrem Wagen wegfahren.“ Diese Beispiele bringen den Wissenschaftler dazu, nach Lösungen zu suchen, die oft auch im interdisziplinären Umfeld zu finden sind. Wolf weiß spontan einen Kollegen aus der Elektrotechnik, der an diesen Problemen arbeitet und sieht gleichfalls in der Bergischen Wirtschaft ein verborgenes Potential. „Die Frage ist hier, wie kann ich die Systeme so auswerten, daß sie den privaten Datenschutz gewähren? Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, was wir erreichen können, das ist eine europäische, das ist eine deutsche Perspektive und auch eine Perspektive für die Unternehmen in der Region.“ Der große Vorzug bestehe im Vorhandensein der Systeme, und da solle man sich positionieren, denn, so fährt er fort, „das ist ein Zukunftsthema für die Unternehmen: Die Datenschutzrechte der Nutzer berücksichtigen!“
 
Die Diskrepanz zwischen Safety und Security
Die Anwendung technischer Systeme zur Verbesserung von Sicherheit können widersprüchlich sein. Z. B. kann die verschlossene Türe, die den Angreifer abhält, auf der anderen Seite dem Flüchtenden, der sie nicht öffnen kann, zur tödlichen Falle werden. Fachleute sprechen da von Wechselwirkungen zwischen Safety- und Security-Technologien. Ein Dilemma? Für Wolf müssen sich erst einmal die Prioritäten ändern. „Wir haben in einer Geisteshaltung gelebt, in der wir immer gesagt haben: Safety first“, betont er, „und dadurch, daß wir zunehmend Security-Bedrohungen sehen, durch die Vernetzung, durch internationale Bedrohung von Terroristen, rücken Security-Anforderungen in den Fokus.“ Hier kommen nun wieder die eingangs genannten Metriken zum Einsatz. „Um objektiv, qualitativ Sicherheit zu bewerten, kann ich eine optimale Konfiguration finden unter Berücksichtigung aller Unsicherheiten, die es immer gibt. Stellen sie sich vor, ein System erkennt, ob es sich um ein Safety- oder Security-Szenario handelt. Dann kann ich die Tür öffnen oder versperren. Und das gibt es auch schon. Es sind die ganz einfachen mechanischen Techniken des Panikschlosses. Wenn sie ein Panikschloß an ihrer Wohnungseingangstür haben, dann verriegelt sich das immer, wenn die Türe ins Schloß fällt. Wenn sie von innen auf die Türklinke schlagen, geht das Schloß immer auf, ganz egal, ob es verriegelt ist oder nicht. Dann hat man das Szenario entkoppelt, weil das Schloß erkennt, von innen nach außen immer öffnen, von außen nach innen geschlossen halten. Es gibt immer mehr Systeme in der Richtung. Das ist nicht schwer, diese Mikroprozessoren einzubauen und dann hat man schon Informationen über das vorliegende Szenario. Und der nächste Schritt ist dann die KI, die eine Situation erkennen kann, um ggfls. Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.“
 
Unternehmensplattform Smart Access
„Smart Acces bedeutet eigentlich Türöffnung oder drahtlose Authentifizierung“, sagt Wolf, ein Verfahren, mit dem man Gebäude und Türen öffne oder das Auto starte. Im Bereich Car-Sharing entwickeln sich bereits neue Geschäftsmodelle, wie der Elektrifizierte Lieferservice, ein von Volkswagen bereits markttaugliches Angebot. „Sie bestellen z.B. einfach bei Amazon und die liefern das dann direkt in ihr Auto. Der Paketbote öffnet dann ihren Wagen und stellt die Ware ein. Sie können bei Smart Acces die Schließberechtigung über das Telefon verteilen.“ Auch Sharing Economy, also Firmen, die eine geteilte Nutzung ermöglichen, bieten an, die Berechtigung an einen dritten weiterzugeben.
 
Regionale Plattform für Bergische Unternehmen
Eine Plattform könnte in Bezug auf diese neuen Technologien auch den Bergischen Unternehmen für ihre AnSchlußfähigkeit nützlich sein. Doch der Weg ist weit. „Es muß das Problembewußtsein auch bei den Fördergeldgebern da sein und daran hakt es noch“, bedauert Wolf, „aber wir brauchen diese Plattformen, egal ob das nun über WhatsApp geht, denn auch das kann man Ende zu Ende verschlüsseln. Man muß sich mit den Großen zusammentun und möglichst vielen Unternehmen die Chance geben, daran zu partizipieren. Wir brauchen europäische, deutsche Standpunkte. Das sind wichtige Beschäftigungsfelder für die Unternehmen in der Region. Und da muß man andocken!“
 
Uwe Blass
 
Prof. Dr.-Ing. Kai-Dietrich Wolf studierte Maschinenbau und Mechanik an der Technischen Universität in Darmstadt und an der UC Berkeley in Kalifornien. Seit 2009 lehrt er das Fach Mechatronik an der Bergischen Universität und leitet das im gleichen Jahr ins Leben gerufene Institut für Sicherungssysteme (ISS) mit Sitz in Velbert.