West Side Story - Die Zweite

Weil´s so schön war, eine weitere Lobpreisung der zur Zeit in Düsseldorf gezeigten Inszenierung von Joey McKneely - diesmal

von unserem Opernkritiker Peter Bilsing
„West Side Story“–
Es hat sich nicht viel geändert in 50 Jahren

Das vielleicht einzig wahre „Original“ jetzt als Gastspiel an der Rheinoper


Besuchte Vorstellung: 8.Juli

Ein Lichtblick in der aktuellen Grusical-Szene

„Mit seiner Mischung von lyrischen Liebesszenen, Kritik an der modernen Großstadtgesellschaft, mitreißenden Ballettnummern und anspruchsvoller Musik, wurde die West Side Story zum bis dahin kühnsten Werk des amerikanischen Musiktheaters.“ Das ist leider nicht von mir, sondern ein sehr treffendes Zitat aus dem „Großen Lexikon der Musik“ (Honegger/ M. & G. Massenkeil). Ich würde unverschämterweise im modernen Jargon ergänzen: „Und es ist seitdem nicht mehr getoppt worden!“
Man schaue sich die aktuellen Seichtproben unter ⇒ Musical/Deutschland an: Da steht „Tarzan“ neben den „Hexen von Oz“; Udo Jürgens´ Greisentestament „Ich war noch niemals in New York“ neben Schmalz à la „Elisabeth“ oder Trivial-Schund wie „Der Schuh des Manitu“ – Mamma Mia! Als wenn das alles nicht schon blöd genug wäre, heißt das neueste M/Grusical doch glatt „Ich will Spaß!“ (Essen). Titel, die Bände sprechen und deren musikalisches Substrat dem Titel folgt. Nomen est omen - Diarrhöe in Noten! Die internationalen Produkte der letzten Jahre aus der Lloyd/Webber-Musical-Fließband-Fabrik sind nur marginal besser. Da freut sich das Herz immer wieder auf Bensteins legendäre „West Side Story“.
Heuer ist es wieder soweit: Nach Wien, Paris, Zürich, Leipzig und Baden-Baden ist die „50th World Tour“ des Musicals (zwar recht großspurig, aber letztlich völlig zurecht mit: DAS ORIGINAL betitelt) nun in Düsseldorf noch bis zum 19.7. zu genießen; danach geht es nach London (22.7. – 31.8.) und Athen (10.9. – 29.9.). Vorweg: Ein Besuch lohnt sich sehr und ich bin froh, diese tolle Produktion in meinen Sommerplan zwischen Bregenz, Bayreuth und Salzburg integriert gehabt zu haben.

Was macht nun dieses Stück zu einem solchen Klassiker für die Ewigkeit?

Und warum ist die Geschichte auch im 21.Jahrhundert immer noch ein Bühnen-Kassenschlager, CD- und DVD-Hit?

Oberflächlich betrachtet ist Bernsteins Musical eine Hommage an das Tanzmusical der 30er – 50er Jahre; manches wirkt beinah schlager- bzw. operettenhaft. Bei näherer Betrachtungsweise ist die Verbindung lateinamerikanischer Musik, gezeichnet durch temperamentvolle Percussions und fetzige Tanzrhythmen mit dem Jazz schwarzafrikanischer Herkunft ein frühes und markantes Zeichen globaler Völkerverständigung. Darüber hinaus – und das macht diese Musik so begnadet und genial – enthält „West Side Story“ auch Elemente der ernsten Musik (Puccini, Bartok…). Dissonante Akkorde stehen neben der Polyrhythmik des Jazz. Blue-Notes umflirren neoklassizistische Elemente und verschwimmen vielerorts in einer Art symphonischem Jazz. Alles ist eine hinreißende und niemals oberflächliche Mischung von begnadet komponierten Stilelementen. Hinzu kommt, daß die Hauptgesangspartien eigentlich von der technischen Schwierigkeit her eher Rollen für Opernsänger sind. Das hervorragende Libretto (Buch: A. Laurents / Texte: S. Sondheim) erinnert an Cole Porter; viel Ironie und Sarkasmus. Die Hauptthemen Desillusionierung und Fremdenhaß sind aktuell. Bernstein schuf mit diesem Musical ein absolutes musikalisches Meisterwerk auf einem Niveau, das er später nie wieder erreichte. Cool - anno 1957!

Der Film - ein Markstein


Nicht umsonst wurde der Film „West Side Story“ von 1961 (eine sehr gelungene, quasi realszenische Umsetzung des originalen 1957er Musicals - Bernstein komponierte eine zusätzliche Ouvertüre - zu einem der höchstdekorierten Werke Hollywoods: sagenhafte 10 Oscars, 3 Golden Globes und ein Grammy. Seit 2001 gibt es endlich von MGM die grandios vom Original des 35-mm Films restaurierte und optisch digital bereinigt klassische Breitbild-Fassung, bei welcher der ehemalige 6-Kanal-Magnetton tadellos ins aktuelle Dolby-Format 5.1. übertragen wurde. Da rauschen dem Bernstein-Fan die Ohren!
Doch kommen wir zur besuchten aktuellen Aufführung, welche gerade in der Düsseldorfer Rheinoper die Ferien-Sommertage sinnvoll füllt: Was zeichnet diese Produktion anno 2008 aus?

Überzeugende Botschaft in Tanz und Musik

Es ist in erster Linie eine Botschaft durch Musik und Tanz. Daß man eigentlich keine große Optik, wie z.B. in Bregenz 2003, braucht und so ein Stück auch auf fast leerer Bühne, nur mit einem imaginären Häuserszenario in Form von ein paar Feuerleitern gespielt werden kann, beweist der niederländische Bühnenbildner Paul Gallis mit seiner szenischen Einrichtung. Das grandios bewegte Backdoor-Szenario öffnet immer neue Bühnenräume und Tanzebenen; in Verbindung mit den raffiniert plazierten historischen Projektionen von New York ergeben sich sehr stimmungsvolle Bilder.
Die fabelhafte Choreografie des Broadway-erfahrenen Joey McKneely überzeugt durch hohes dramatisches Tempo und emotionale Dichte. Alle Darsteller werden nicht nur was Bewegung und Rhythmus anbelangt perfekt geführt, sondern auch die klassischen Ballett-Elemente überzeugen. Was an präzis abgestimmter Sprungkraft vom Ensemble geboten wird, könnte manch klassische Compagnie vor Neid erblassen lassen. Tanztheater vom feinsten!

Bild- und Klang-Ästhetik

Ganz wesentlich trug zum Erfolg dieses Abends auch die sehr gelungene und überzeugende Lichtregie von Peter Halbsgut bei. Zusammen mit den Kostümen der opernwelterfahrenen Renate Schmitzer, die sich teilweise auch der Originalfarben des Uraufführungsdesigns bediente, boten Licht und Kostüme eine sich prachtvoll mit dem Bühnenambiente ergänzende Bild-Ästhetik.
Solch eine Produktion lebt und stirbt mit der ausgefeilten Arbeit des Sounddesigns, wie sich die Arbeit der Tontechniker heute nennt. Wer jemals mit Microports (und das gleich 36!) gearbeitet hat, weiß wie besonders heikel auf dem Theater die Mischung von direktem Klang (Orchester) und verstärkten Stimmen ist. Dies gelang dem renommierten Rick Clarke (er führte immerhin in mehr als 40 Londoner West End-Produktionen die Tonregie) auf perfekte Art und Weise. Vorseherisch hatte man sich nicht auf das steinzeitliche Lautsprechersystem der Rheinoper verlassen, sondern zeitadäquate Technik installiert.

Exzellent am Pult: Donald Chan

Von der Technik zum Herz, zur Seele dieser tollen Produktion: Dirigent Donald Chan. Opern- und musicalerfahren, Weltreisender in Sachen obersten Qualitätsniveaus, bestätigte der ehemalige langjährige Musikdirektor der St. Louis Municipal Opera seinen exzellenten Ruf. Die saubere Koordination der Einsätze von Live-Musik und Tanz-Choreografie - insbesondere bei den teuflisch schnellen und stakkatohaften Rhythmen Bernsteins - ist eine Mammutleistung an Konzentration, Akkuratesse, Sensibilität und setzt sehr viel Erfahrung voraus. Chan meisterte diese Herausforderung mit seinen 23 erstklassigen Musikern mehr als brillant. Schlagzeuger Jesse Nolan gebührt ein Extralob. Zur Augenweide kam die Ohrenweide mit dieser Truppe… superb.

Stimmkultur von Opernformat

Eine große Leistung, die auch den Solisten der Hauptpartien attestiert werden muß. Ich fange mit dem blutjungen Samuel Boden (Tony) an, da er mich auch und besonders als Opernkritiker vom Stuhl riß. (Kein Schmalz, wie Carreras!). Was für eine Stimme, was für ein Talent! Hier kommen ausreichende Kraft, Tragfähigkeit (trotz Microports) und ansprechende lyrische Emphase prachtvoll zusammen. Eine ganz große Option auf die Zukunft; wir werden hoffentlich noch viel von ihm hören.
Mit der bezaubernden Sofia Escobar (Maria) hatte er die ideale Partnerin – Stimmen, die aufs Schönste harmonieren. Escobar hat auch eine genügend profunde Tiefe und verfügt schon in jungen Jahren, dank ihrer guten Technik, über ein prägnantes Opernorgan. Besonders berührt hat mich die Tiefe der Einbringung ihrer darstellerischen Fähigkeiten. Die mit großer Emotionalität gespielte Schlußszene zeichnete noch beim großen furiosen Schlußapplaus Tränchen auf ihre Wangen. Herzergreifend… Als Dritte im Bunde muß die „Anita“ von Oneika Phillips genannt werden. Feuer, Temperament und Stimmkultur macht sie zur Idealbesetzung dieser Rolle. Eine „Carmen“ für die Zukunft.

Bernstein auf höchstem Niveau

Ein originalgetreuer Bernstein, den Produzent und Impresario Michael Brenner mit seinem „Ceative-Team“ auf die Bühne gebracht hat. Ein Ausnahmeabend, der weit über dem Niveau ähnlicher Produktionen steht. „Musical at its Best!“ Eine überzeugende „West Side Story“ auf höchstem und vorbildlichem Niveau.
Wenn man bedenkt, daß jede Karte einer Opernaufführung dieses Landes mit rund 120 Euro vom Steuerzahler subventioniert wird, ist auch das Preisgefüge dieser freien Produktion (teuerste Karte knapp unter 100 Euro) fair und ehrlich. Anmerkenswert: das aufwendig gemachte Programmheft; auch wenn´s etwas teurer ist. Neben Hochglanzfotos bietet es auch vorbildlich aufbereitete Informationen.

Die Bilder sehen Sie  ⇒hier