Got To Call That Number!

„Talking on the Telephone“

von Steffi Engler

Hellooo, Baaaby!
 
Pop-Songs aus den 50ern und 60ern,
als man noch mit dem Zeigefinger eine Scheibe drehen mußte
(und das Telefon an einer Schnur hing).
 
Kann sich das heute überhaupt noch einer vorstellen, daß man zum Telefonieren den 400 Gramm schweren „Hörer“ eines 2 kg wiegenden Telefons von der „Gabel“ nahm, den Zeigefinger an verschiedenen Stellen in eine „Wählscheibe“ steckte und daran so lange drehte, bis am anderen Ende der Leitung das Rufzeichen ertönte? Hinzu kam, daß besagter „Hörer“ über ein Kabel von 110 cm Länge, landläufig „Schnur“ genannt, fest mit dem Telefon verbunden war, was bedeutete, daß man sich am Standort des Telefons aufhalten mußte, um sein Gespräch zu führen. Luxus war immerhin ein weiteres Kabel von maximal 4 Meter Länge, das man gegen Extra-Gebühr von der Post – der hörte damals das Telefonnetz exklusiv – mieten konnte, um das (s.o.) 2 kg schwere Telefon im Raum zu bewegen. Diese Vorteile hatte man natürlich nur, wenn man bereits Selbstwähler mit eigenem Telefonanschluß und weder auf das Fräulein vom Amt angewiesen war noch in einer „Telefonzelle“ stand.
 

© Archiv Bear Family

Die oben genannten Maße und Gewichte beschreiben übrigens das Telefon W 48, das zu der Zeit in Deutschland üblich war, als die meisten der Schlager entstanden, die wir auf der köstlichen neuen CD „Talking On The Telephone“ aus dem Sampler-Programm von Bear Family finden. Einige Bilder aus dem Booklet, zu dem am Schluß noch etwas zu sagen sein wird, werden illustrieren, wie das mit dem Telefonieren damals war. Es sind etliche bis heute unvergessene Songs dabei, aber auch ein paar rare Funde aus den Bear Family Archiven.
 

© Archiv Bear Family

Wie anders als mit dem größten Hit des 1959 tragisch durch einen Flugzeugabsturz abgekommenen Big Bopper (Jiles Perry Richardson, Jr.) könnte so ein Album beginnen, nämlich mit „Chantilly Lace“ und dem berühmten „Hellooo, Baaaby!“. Dieser originelle Song hat den Big Bopper unsterblich gemacht. Insgesamt 27 Songs haben die Herausgeber Richard Weize, Hank Davis und Roy Forbes nebsen den erwähnten historischen Bildern zum Thema zusammengetragen. Bobby Darin eifersüchelt heftig im folgenden „If A Man Answers Your Phone“ und Brenda Lee verzweifelt schier, daß „Bigelow 6-200“ nicht antwortet. Ein weiterer Klassiker ist Chuck Berrys „Memphis Tennessee“ aus dem Jahr 1958. „Häng nicht auf!“ rufen die Orlons 1962 – nebebei interessant, daß man auch heute noch sagt „Ich leg´ jetzt auf!“ wenn man ein Gespräch per Knopfdruck beendet.
Johnny Burnette klagt dem besagten Fräulein vom Amt in „Operator“ sein Leid (eine Aufnahme, die nirgendwo sonst zu finden sein dürfte), Claudine Clark doowopt „The Telephone Game“ und die Teenage Ballade „Hello“ von The Nutmegs klagt das Leid des schmachtenden Lovers, der sein Baby nicht an den Draht bekommt. Ähnlich geht es auch Ron Holden in „Your Line Is Busy“ und Donna Dameron in „Bopper 486609“, als sie versucht den Big Bopper anzurufen, Zitate von Chantilly Lace inklusive. Diese
„Antwort“ auf Chantilly Lace verschwand nach dem Tod des Big Bopper in den Archiven und etliche Gerüchte über über Donna Dameron kamen in Umlauf. Heute sind die wenigen erhalten gebliebenen Platten von Sammlern gesucht.
 

© Archiv Bear Family

Eine der weiteren Raritäten ist „Buzz Buzz A Diddle It“ von Freddie Cannon, dessen Ruhm einst von „Way Down Yonder in New Orleans“ begründet wurde. Eine weitere folgt auf dem Fuß: „Your Line Was Busy“ von Big Bob Kornegay. Auch Bobby Mitchell braucht die Hilfe des Operators und wieder ist Johnny Burnette am Draht, diesmal aber, um „Goodd Bye“ zu sagen. Eine perfekte Teenage Ballade des 1964 verunglückten Johnny, die 2003 wiederentdeckt wurde.
Jerry Lee Lewis und Chuck Berry folgen mit ihren typischen Sounds und - natürlich - Telephone-Songs, bevor die explosive kleine Brenda Lee „Ring-A-My-Phone“ röhrt. Das war 1958, als sie sich grade in den Charts nach ganz oben sang. Dinah Washington versuchte es im selben Jahr mit dem selben Titel und Tommy Sands und Bill Woods flehen ihre Liebsten ebenfalls an, sie endlich anzurufen.
Das gute Ende ist natürlich der Distanz-Kuß am Telefon, den Teenager-Schwarm Paul Anka 1961 besang „Kissin´ On The Phone (hen we´re all alone)“, ein schöner Abschluß dieser tollen Sammlung. Ein wunderbares Booklet von 32 Seiten mit intensiv recherchierten 1a-Informationen über die Künstler, Titel und Aufnahmen, mit vielen Porträts, mit alter Werbung und zeitgenössischen Fotos rundet den Genuß ab. Besonders viel Platz nimmt die schon oben genannte Donna Dameron mit „Bopper 486609“ ein, deren mystifizierte Geschichte eindeutig recherchiert und aufgearbeitet wurde. Das alles, Songs, Compilation und Booklet gefallen mir so gut, daß ich Ihnen das Album unbedingt empfehlen kann und es mit unserem Prädikat, dem Musenkuß, belohne.
 

© Bell Telephone System / Archiv Bear Family

„Talking on the Telephone“
© 2020 Bear Family Productions (CD)
 
1. Big Bopper: Chantilly Lace - 2. Bobby Darin: If A Man Answers - 3. Brenda Lee: Bigelow 6-200 - 4. Chuck Berry: Memphis. Tennessee - 5. Orlons: Don't Hang Up - 6. Johnny Burnette: Operator - 7. Mickey & Sylvia: Can't Get You On The Phone - 8. Billy Fury: Phone Call - 9. Claudine Clark: The Telephone Game - 10. The Nutmegs: Hello - 11. Freddy Cannon: Buzz Buzz A Diddle It - 12. Donna Damron: Bopper 486 009 - 13. Lew Williams: Teenagers Talkin' On The Phone - 14. Big Bob: Your Line Was Busy - 15. Carl Perkins: Just Thought I'd Call - 16. Bobby Mitchell: Got To Call That Number - 17. Johnny Burnette: I Just Called Up To Say Goodbye - 18. Jerry Lee Lewis: Hello, Hello Baby - 19. Chuck Berry: Come On - 20. Brenda Lee: Ring-A-My-Phone - 21. Ron Holden: Your Line Is Busy - 22. Dinah Washington: Ring-A-My-Phone - 23. Tommy Sands: Ring My Phone - 24. Johnny Fallin: Party Line - 25. Mel Williams: Here At My Phone - 26. The Marvelettes: Beechwood 4-5789 - 27. Bill Woods: Phone Me Baby - 28. Paul Anka: Kissin' On The Phone
Gesamtzeit:
 
Weitere Informationen: www.bear-family.com
 
Ein Tip zum Weiter-Hören heute auf der Hörbuch-Seite → https://musenblaetter.de/

Redaktion: Frank Becker