Das Entdecken des Autors im Spiegel seiner Werke

Die Romanisten Dr. Stephan Nowotnick und Marie Cravageot veranstalten die Literarischen Begegnungen -Les Rencontres Littéraires- an der Bergischen Universität

von Uwe Blass

Marie Cravageot, Dr. Stephan Nowotnick - Foto: Uwe Blass

Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, der Erkenntnisgewinn und das neu generierte Wissen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und sozialen Institutionen. Mit den „Bergischen Transfergeschichten“ zeigt die Bergische Universität beispielhaft, wie sich Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit in die Region einbringen, mit anderen Partnern vernetzen und die Gesellschaft so aktiv mitgestalten.
 
Das Entdecken des Autors im Spiegel seiner Werke
 
Die Romanisten Dr. Stephan Nowotnick und Marie Cravageot veranstalten die Literarischen Begegnungen -Les Rencontres Littéraires- an der Bergischen Universität
 
Eine Seminarreihe zur französischen Gegenwartsliteratur war der Impuls, die literarischen Begegnungen, Les Rencontres Littéraires, ins Leben zu rufen. 
„Warum sollten wir nicht die Autoren persönlich einladen, über die wir sprechen?“, fragte sich der Romanist Dr. Stephan Nowotnick, der in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften französische, spanische und lateinamerikanische Literatur lehrt. Mit dem Ziel, „Studierende der Romanistik in persönlichen Kontakt und in ein persönliches Gespräch mit wichtigen Autoren und Autorinnen der französischen Gegenwartsliteratur zu bringen, die sie zuvor in Seminaren gelesen und studiert haben, bedeuten die Rencontres Littéraires einen besonderen Beitrag zu einem mit Leben gefüllten Literaturstudium“, sagt er. Mit der Kollegin Maren Butzheinen begann Nowotnick 2015 diese Idee in die Tat umzusetzen und veranstaltet seit nunmehr fünf Jahren die französischen Begegnungen, seit 2016 mit Marie Cravageot an seiner Seite. Dabei denken beide Veranstalter auch an die an französischer Literatur interessierten Bürger*innen der Region, die an den Lesungen der „in aller Regel zur ersten Liga zählenden zeitgenössischen französischen Autoren“ partizipieren können. Mit der Zeit wurde damit auch die Universität als Veranstaltungsort zu einer wichtigen Begegnungsstätte dieses mittlerweile überregional bekannten Rendezvous.
 
Symbol für den deutsch-französischen Kulturaustausch
 
Das stetig wachsende Publikum habe nur eine Bedingung zu erfüllen, erklärt Cravageot, „sie müssen Französisch verstehen“, denn die Lesungen werden in der Originalsprache abgehalten, wobei in den anschließenden Diskussionen auch die Möglichkeit der Übersetzung gegeben ist. Dank der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen in Wuppertal, wie der Volkshochschule, die in ihren Französischkursen für die nächsten Rencontres Littéraires wirbt oder des Partnerschaftskomitees zwischen Wuppertal und Saint-Etienne, sagt die Wissenschaftlerin, „kann man hier tatsächlich von einem Symbol für den deutsch-französischen Kulturkontakt und Kulturaustausch sprechen, einem Symbol, das in Wuppertal und der Region eine besonders starke Resonanz erfährt.“
 
Femina- und  Goncourt-Preisträger kommen ins Tal
 
Nowotnick und Cravageot suchen gezielt nach aktuellen, vielgelesenen französischen Autoren der Gegenwartsliteratur und sind bei Ihren Einladungen immer up to date. „So waren z.B. schon Jérôme Ferrari, Laurent Gaudé, Maylis de Kerangal oder Jean-Philippe Toussaint bei uns zu Gast“ erzählt Nowotnick begeistert, „Autoren, die in Frankreich in aller Munde sind, die z.T. wie Stars gehandelt werden“, denn der Status eines Schriftstellers sei in Frankreich ein anderer als in Deutschland. „Deren Bücher liegen stapelweise in den großen französischen Buchhandlungen aus.“  Im November kommt zunächst der junge, große Shooting-Star der französischen Gegenwartsliteratur, Sylvain Prudhomme, an die Bergische Universität. Ausgezeichnet mit dem Prix Femina ist er einer der angesagtesten Autoren Frankreichs. Im Januar folgt ihm der Prix Goncourt-Gewinner Nicolas Mathieu ins Tal, der den wichtigsten und ältesten französischen Literaturpreis 2019 für seinen Roman Leurs enfants après eux (dt: Wie später ihre Kinder) erhielt. „Dieser Preis kommt sofort nach dem Nobelpreis für Literatur und wird seit 1903 vergeben. Benannt wurde er nach den Schriftsteller-Brüdern Edmond und Jules de Goncourt“, erklärt Nowotnick, und diese gekürten Bücher, fährt er fort, „gehören zu den obligatorischen Weihnachtsgeschenken der Franzosen.“
 
Das Entdecken des Autors im Spiegel seiner Werke
 
Das Format der Rencontres Littéraires hat Alleinstellungsmerkmal, denn, so erläutert Cravageot, „für das Treffen einigen wir uns mit dem Autor im Vorfeld auf ein zentrales Thema, das sich durch das gesamte Werk des Autors zieht. Dieses Thema ist mit thematischen Achsen verbunden, die gewählt wurden, um den verschiedenen Rencontres Littéraires Kohärenz zu verleihen. Es gibt also zwei Leitgedanken: die Gesamtachse zwischen den verschiedenen Autorenbegegnungen und das spezifische Thema jeder Begegnung.“ Auch die Studierenden werden an der Umsetzung in Form von Moderationen oder kurzen Vorträgen, den sogenannten Echos de lecture, in denen sie ihre persönlichen Eindrücke über Buch und Autor präsentieren, beteiligt. „Eingebettet in die Rencontres sind auch ein Vortrag und Lesungen von Auszügen aus den Werken durch den Autor selber, die er detailliert kommentiert und mit denen er das Thema der Begegnungen veranschaulicht. Es geht immer darum, jeden Autor im Spiegel seines gesamten Werkes zu entdecken“, sagt Cravageot über jede Begegnung, „es ist eine dynamische Veranstaltung, bei der jeder das Wort ergreifen kann. Der Ablauf ist immer wieder anders.“
Und damit auch die nächsten Begegnungen gut besucht sind, starten die beiden Veranstalter jedes Mal eine großangelegte Werbekampagne. Neben den herkömmlichen Plakaten, Flyern und Emailmitteilungen beteiligen sich auch frankophil ausgerichtete Nachbaruniversitäten an der Informationsvermittlung und alle Romanisten bundesweit erfahren die Termine über die Internetseite www.romanistik.de.
 
 
Länderschwerpunkt der Bergischen Universität seit 2017: Frankreich
 
Seit 2017 ist Frankreich Länderschwerpunkt der Bergischen Universität mit einer Fülle von Beziehungsstrukturen und Aktivitäten. Dazu zählt Nowotnick sowohl „zahlreiche ERASMUS-Partnerschaften mit französischen Universitäten, bi- bzw. trinationale Studiengänge mit Frankreich, Praktikumsangebote in Frankreich im Bereich Lehramt und andere oder eine DAAD Gastdozentur in Wuppertal mit einer Kollegin aus Paris-Nanterre“, als auch „möglicherweise bald einen zusätzlichen binationalen dt.-frz. Master-Studiengang.“ Die Rencontres Littéraires ergänzen diese ausbaufähigen, besonderen Maßnahmen, und Nowotnick verabredete in diesem Jahr mit dem bureau du livre (Bücherbüro) der französischen Botschaft sogar eine enge Kooperation. „Das bureau du livre organisiert und koordiniert jedes Jahr sämtliche Besuche von französischen Autoren in Deutschland. Die Grundidee ist dabei, die Botschaft vermittelt Autoren, die sie eingeladen hat, auch nach Wuppertal, und wir vermitteln unsere Gäste über das bureau ebenfalls in andere Städte. Eine typische win-win-Situation.“
 
Nachhaltigkeit durch Textsicherung
 
„Alle Veranstaltungen der Vergangenheit wurden aufgezeichnet und transkribiert“, erläutert Cravageot, „unser Ziel ist es vor allem, eine Spur dieses immer reichen und faszinierenden Austauschs zu sichern.“ Zudem sind alle Texte und Termine auch über die Homepage unter https://www.romanistik.uni-wuppertal.de/de/rencontres-litteraires.html  zugänglich. „Für unsere Kurse in der Romanistik verwenden wir diese Texte als Lehrmaterial in Seminaren über zeitgenössische französische Literatur. Manche Studierende nutzen sie auch für ihre Bachelorarbeit und einige dieser Transkriptionen sind sogar in Fachzeitschriften veröffentlicht worden“ ergänzt sie. Ein Traum wäre natürlich die Publikation eines Buches mit den gesammelten Begegnungen der Wuppertaler Gespräche.
 
Rencontres Littéraires, ein Projekt mit Zukunft?
 
Cravageot und Nowotnick haben noch viel vor. So planen sie z.B. die Differenzierung der Formate, die so aussehen könnte, daß zukünftig bspw. zwei Autoren zu einem Thema eingeladen würden. Auch ein Kolloquium 2021 zum Thema der sozialen Krise in Frankreich ist geplant und unter dem verstärkten Einbezug der Medien wird an Partnerschaften mit kulturellen Institutionen gearbeitet sowie einer intensiveren Zusammenarbeit mit dem Kulturbüro der Stadt. „Es ist doch interessant zu hören,“ sagt Nowotnick lachend, „daß sich Autoren in Paris treffen und feststellen, daß sie beide schon in Wuppertal zu Gast waren!“
Als langfristig übergeordnetes Ziel der Reihe wünschen sich Nowotnick und Cravageot aus den Rencontres Littéraires in Wuppertal eine wichtige, national bekannte Begegnungsstätte mit zeitgenössischer französischer Literatur werden zu lassen und somit zu einem Forum für den deutsch-französischen Kulturaustausch zu werden.
Bonne chance!
 
Die nächste Literarische Begegnung findet coronabedingt am 10. November um 16.00 Uhr mit Sylvain Prudhomme in der Universitätsbibliothek statt.
 
Uwe Blass
 
Dr. Stephan Nowotnick lehrt französische, spanische und lateinamerikanische Literatur im Fach Romanistik und leitet in Zusammenarbeit mit der Universität Besançon einen binationalen deutsch-französischen Studiengang.
Marie Cravageot unterrichtet französische Literatur, sie ist Expertin für die zeitgenössische Literatur Frankreichs.