Ermüdend, künstlich, fragwürdig - man fragt sich, was das Ganze soll

„Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani

von Renate Wagner

Berlin Alexanderplatz
Deutschland 2020

Drehbuch und Regie: Burhan Qurbani
Mit: Welket Bungué, Albrecht Schuch, Joachim Król, Jella Haase, Annabelle Mandeng u.a.
 
Man hätte einen dringlichen Wunsch: Daß dieser Film nicht „Berlin Alexanderplatz“ hieße und der Name Alfred Döblin nie erwähnt würde. Dann könnte man mit einem künstlerischen Produkt sui generis umgehen und müßte nicht dauernd vergleichen, wiegen und viel zu leicht befinden. Nein, man versteht wirklich nicht, warum sich Regisseur Burhan Qurbani bei diesem Film mit einem Vorbild beschweren muß, dem er nicht gerecht werden kann – und ob ihm der funkelnde Titel des Buches, das auf einen der großen deutschen Romane des 20. Jahrhunderts verweist, heute in der Zeit abnehmender Bildung überhaupt noch etwas nützt?

Man kennt die Tendenzen, „klassische“ Stoffe in die heutige Zeit zu versetzen, aus dem Theater heute. Das Ergebnis ist meist dasselbe wie hier: Man erkennt das Original nicht mehr, hält nicht viel von der Neuinterpretation und fragt sich am Ende nur, was das Ganze soll. Ähnliches bewegt einen nach diesem Film, der außerdem mit einer Spielzeit von fast dreieinhalb Stunden so unökonomisch und ermüdend ist, daß man sich schwer tut, das Interesse an „Francis“ aus Schwarzafrika (das ist nämlich aus Franz Biberkopf geworden) aufrecht zu erhalten…
 
Döblins Roman, man muß es erwähnen, ist nicht nur wegen seines Helden und der Figuren um ihn herum interessant, sondern wegen dem Berlin der Zwanziger Jahre. Es umfängt Franz Biberkopf vom ersten Augenblick an, wenn er aus dem Gefängnis kommt: Berlin, die brodelnde Stadt, in deren untersten Segment er sich bewegt und keine Chance hat, hoch zu kommen, und auch keine Chance, sich anständig durchs Leben zu bringen. Bei Burhan Qurbani wird ganz am Ende, zum Abspann, ein charakteristischer Blick auf den Alexanderplatz geworfen, im übrigen könnte die Geschichte ganz unspezifisch in jeder deutschen Großstadt spielen, wo Flüchtlinge, meist Illegale, zu überleben suchen.
 
Was also erzählt uns Burhan Qurbani (auch ein eigener Drehbuchautor) in quälender epischer Breite und seinen Hauptfiguren in jeder Hinsicht so eng auf den Leib rückend, daß man es als regelrecht unangenehm empfindet? Es beginnt damit, daß in einem blutroten Meer Menschen ertrinken – Francis ruft vergeblich nach seiner Ida, nur er überlebt. (Ida, Reinhold, Eva, Mieze, ein paar Namen sind ohne Sinn vom Original übernommen.) Schnitt, man weiß nicht, wie er sich vom Meer durchgeschlagen hat, jedenfalls ist Francis in einer deutschen Stadt, in einem Wohnblock, wo die deutschen Ausbeuter ihre illegalen Migranten unterbringen, die schlecht bezahlt schwere Arbeit leisten. Wenn man, wie Reinhold – der abgerissene Deutsche – ihnen vorschlägt, für ihn Drogen verkauft, dann könnte man schon besser leben…
 
Fünf lange „Kapitel“ und ein im Grunde lächerlicher Epilog drehen nun ermüdend die immer gleichen Konstellationen hin und her: Francis, der von Reinhold bald „Franz“ genannt wird, dargestellt von dem attraktiven, wenn auch nicht wirklich unter die Haut gehenden Welket Bungué, steigt in der Hierarchie auf (in einer starken Nebenrolle: Joachim Król als Boß der Bosse), wird aber immer das Opfer des total skrupellosen, abgefuckten, zynisch verbrecherischen Reinhold: Albrecht Schuch stiehlt in dieser Rolle allen die Show, ist von einer Brechreiz erzeugenden Widerlichkeit. Und damit so künstlich wie alles, was der Regisseur auf die Leinwand bringt.
Wäre die (kaffeebraune) Eva der Annabelle Mandeng noch ein Mensch, den man für möglich hält, wird die Mieze der Jella Haase zu einem Geschöpf, dem man ununterbrochen zusieht, wie sie ihre Rolle spielt. Ein Kunstprodukt bis in die Fingerspitzen – und gar nicht ergreifend. Wenn sie am Ende ermordet wird, sieht man ihren Babybauch kaum. Wenn Francis / Franz im Epilog aus dem Gefängnis kommt, will uns der Regisseur als Tüpfelchen auf dem seltsamen „i“ noch weismachen, das kleine Mädchen an Evas Hand sei das aus dem Bauch der Toten gerettete Töchterchen von Francis / Franz. Es hat schon vorher gereicht, aber dann reicht es ganz.
 
Der Regisseur, als Sohn afghanischer Flüchtlinge in Deutschland geboren, wo er lebt und arbeitet, wollte eine Geschichte über Flüchtlinge heute erzählen. Wenn er in einer Szene Francis / Franz jubeln läßt: „Ich bin Deutschland“, der Mann, der es hier geschafft hat, fragt sich, wie freudig man dazu nicken soll, wenn er schließlich sein ganzes deutsches Leben nur als Verbrecher zugebracht hat. Eine fragwürdige Aussage, so fragwürdig wie das aufgepappte Happyend mit dem deutsch / afrikanischen Mischlingskind.
 
Sicher, das Thema ist vielen ein Anliegen. Und so endlos mühsam der Film auch erzählt wird, packt er sicher echte Erkenntnisse über Leben und Chancen (Chancenlosigkeit) dieser Menschen in die Handlung. Aber dafür braucht man nicht Döblin und nicht Alexanderplatz. Es wäre ehrlicher gewesen, seine eigene Geschichte zu erzählen. Bloß hätte diese, ohne den Lockvogel von Autor und Titel von einst, vermutlich einen Bruchteil der Aufmerksamkeit erfahren.
 

Renate Wagner