Trau keinem Gutachten

Stefan Koldehoff, Tobias Timm – „Kunst und Verbrechen“

von Frank Becker

Umschlagmotiv © The Andy Warhol Foundation
Trau keinem Gutachten
 
Eine Kriminalgeschichte der Kunst
 
 
Vom Diebstahl der Mona Lisa 1911 durch Vincenco Peruggia aus dem Louvre über die raffinierte Fälschung von Kunst jeglicher Art, den Handel mit echten und falschen NS-Devotionalien und Antiken aus Raubgrabungen, von der Kunst-Affinität von Kleptokraten bis hin zum schamlosen Betrug durch „Kunstvermittler“ wie Helge Achenbach spannt sich der Bogen eines Buches, das ich schon hier jedem Kunstfreund nachdrücklich ans Herz legen möchte: „Kunst und Verbrechen“ von Stefan Koldehoff und Tobias Timm. Die beiden ausgewiesenen Fachjournalisten in Sachen Kunst präsentieren ihren Lesern mit Kenntnisreichtum, Eleganz und Leichtigkeit eine gleichermaßen informative wie unterhaltsame Kriminalgeschichte des Kunsthandels, der Kunstfälschung und des Kunstraubes. Eloquent und auf hohem Niveau werden bestens recherchiert Geschichte und Hintergründe aller Schattierungen von Fälschung, Raub und Diebstahl erläutert und brillant erzählt.
 
Es ist nicht der „edle“ Kunstdieb, der ein Bild an sich bringt, um es im heimischen Kämmerlein zu verehren, um den es geht – hier geht es um knallharte Verbrecher, denn es ist immer das Geld, das beispielsweise dazu reizt, wertvolle Bilder zu stehlen, um sie gegen diskret gezahltes Lösegeld wieder herauszurücken. Schließlich sind die zu zahlenden Versicherungssummen stets weitaus höher, was Museen, Versicherer und dubiose Anwälte zu zweifelhaften Geschäften mit den Dieben reizt. Und es ist der bare Geld- bzw. Goldwert, der Clan-Kriminelle dazu bringt eine 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin, von Geschmeide aus dem Grünen Gewölbe in Dresden oder die drei Zentner schwere Kloschüssel von Maurizio Cattelan aus purem Gold zu stehlen. Da spielen auch die Hybris der Kunst an sich und die Nachlässigkeit der Museen eine große Rolle.

Kunst ist angesichts der sich in schwindelnde Höhen schraubenden Preise im 20. und 21. Jahrhundert zum weltweiten Tummelfeld von Verbrechern aller Art geworden. Daß  Kleptokraten wie der philippinische Diktator Marcos, vor allem aber seine Ehefrau Imelda die dem Volk gestohlenen Milliarden in Gemälden und Ming-Vasen anlegen, daß der Kunstmarkt sich hemmungslos an der Verbreitung von druckgraphischen Fälschungen von u.a. Picasso und Dalí bereichert, Fälscher sich die Gier von Museen und solventen Sammlern ach raren Originalen zunutze machen (ein Beispiel ist Amadeo Modigliani) und sich sogar der Freistaat Bayern bedenkenlos am Handel mit illegal ins Land gekommenen Antiken beteiligt, ist nur in Teil der erstaunlich vielschichtigen Erkenntnisse, die Koldehoffs/Timms Buch vermittelt.
 
Wenn Leute wie Konrad Kujau, der legendäre Fälscher der Hitler-Tagebücher, die sensationsgeile Presse vorführt und andere Schlitzohren tumbe Nazi-Verehrer mit falschen NS-Devotionalien übers Ohr hauen, mag man das kaum verurteilen. Und wenn renommiersüchtige Neureiche mit raffinierten Fälschungen Alter Meister und Werken des Impressionismus oder des russischen Konstruktivismus düpiert werden, entlockt das dem Leser gelegentlich schon ein Schmunzeln, auch wenn es bei aller Schadenfreude Straftaten sind. Die kriminelle Energie ist jedenfalls bei den Tätern, ob Fälscher oder Gutachter und Galerist, ob Dieb oder Hehler bis hin zum involvierten Politiker, Agenten und Hehler die selbe.
„Kunst und Verbrechen“ versammelt mit sachlicher Unbestechlichkeit, aber auch mit gelegentlichem Augenzwinkern beispielhaft einige schier unglaubliche Kriminal-Geschichten aus der „hehren“ Welt der internationalen Kunst. Das liest sich tatsächlich wie ein guter Krimi und lehrt unter anderem, Echtheitszertifikaten, Gutachten und Händlern mit Firmensitzen in Steueroasen nicht zu vertrauen.
Eine Empfehlung der Musenblätter und mit unserem Prädikat, dem Musenkuß versehen.
 
Stefan Koldehoff, Tobias Timm – „Kunst und Verbrechen“
Fälschungen, Geldwäsche, Steuerbetrug, Plünderung antiker historischer Stätten.
© 2020 Galiani Verlag / Kiepenheuer & Witsch, 319 Seiten, gebunden -  ISBN: 978-3-86971-176-8
25,- €
Weitere Informationen: www.galiani.de