Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 7

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski
Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 7
 
Von Michael Zeller
 
 
Ein Neuer
 
Klar, daß Lydia sich jetzt erst mal fragte, wieso der neue Kollege ausgerechnet sie mit eingeladen hatte, obwohl sie in verschiedenen Abteilungen arbeiteten und sich nur hin und wieder mal zufällig auf dem Büroflur über den Weg liefen.
Hoffentlich war sie nicht rot geworden, als er sie zu einem Umtrunk mit ein paar Leuten der Firma bat. Nichts Besonderes. Er feiere bloß seinen Geburtstag. Sein erster Geburtstag in ihrer Firma. Er müsse ja erst noch Fuß fassen hier.
Hans-Gerd, dieser junge Neue, war ihr schon ziemlich bald aufgefallen, seit er zu ihnen gekommen war. Mit den langen blonden Locken und dem leicht schlenkernden Gang erinnerte er Lydia an jemanden, sie wußte nur noch nicht an wen. Ein hübscher Bursche, anders als die anderen hier.
Wie sie denn zu der Ehre komme, wollte sie fragen, ein bißchen schnippisch und um Zeit zu schinden. Aber zum Glück schluckte sie das runter und sagte gleich zu. 
Nach Büroschluß also, im „Waldschlößchen“, oberhalb der Stadt, ein kleines kollegiales Beisammensein. Sie war gespannt darauf, dem neuen Kollegen etwas auf den Zahn fühlen zu können. An sich war der schon ihre Kragenweite. Sie spürte, wie es kribbelte in ihr, je näher der Feierabend heranrückte.
Sie holte ihre Reservebluse aus dem Schrank und verschwand damit für eine Weile auf der Toilette. Sie schloß sich ein, um sich in Ruhe fertig machen zu können. Sie schminkte sich, zog kräftig die Lippen nach, wie sie das sonst im Büro nie tat. Beim letzten Blick in den Spiegel war sie ziemlich zufrieden mit sich. Auch etwas fremd. So sorgfältig hergerichtet hatte sie sich schon lange nicht mehr gesehen.
Das steigerte gleich ihre Laune. Lydias kleine Aufgeregtheit vor der Begegnung mit diesem Hans-Gerd schlug um in Unternehmungslust. Na, da wollen wir doch mal schauen, was der neue Kollege so zu bieten hat…
Mit schwungvollen Schritten ging sie auf das „Waldschlößchen“ zu, doch als sie die ersten Gäste am Eingang sah, erstarrte sie. Ein hektischer Griff in die Handtasche. Daran hatte sie jetzt keinen Gedanken mehr verschwendet.
Gottseidank. Dieses lästige Ding steckte in dem Seitenfach der Tasche. Wenigstens mußte sie nicht umkehren. Aber ihr schönes Lippenrot – ach, alles für die Katz! Das würde hinter dieser häßlichen Papiermaske verborgen bleiben.
Lydia warf den Kopf in den Nacken.
„Jetzt müssen es eben meine Augen reißen - “ 
 
 

© 2020 Michael Zeller