Der alte Mann (23)

Hundstage

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Der alte Mann und sein Hund

Folge 23
 
Der alte Mann und sein Hund gingen nicht spazieren. Draußen war es so heiß, daß der Hund lieber auf den kalten Fliesen im Erdgeschoß lag. Seit Tagen war die Hitze unerträglich, und selbst das Gewitter, das am Vormittag noch die Paderstadt besucht hatte, brachte keine Abkühlung. Zum Glück hatte sich der alte Mann von Schomberg eine Klimaanlage einbauen lassen. Nun saß er mit Schal und Handschuhen in seinem Dachgeschoßzimmer und genoß die Kälte. „Bei Dir ist es so kalt wie im Sauerland“, sagte Alfred. Sein Freund Alfred war zu Besuch und hatte Eis mitgebracht. Gemeinsam standen sie um der Klimaanlage herum, als wäre es ein Kamin. Alfred zitterte „Ich kann Dir einen Pullover leihen“, sagte der alte Mann. Alfred lachte. Die Klimaanlage zeigte 14 Grad. Das war schon kalt. „Wenn mir im Sommer heiß ist“, sagte Alfred, „dann besuche ich meine Exfrau Hannelore. Die strahlt eine solche Kälte aus, daß einen fröstelt.“ Der alte Mann sagte: „Zugegeben, das ist billiger.“ Alfred nickte „Wenn ich an das Finanzamt in der Bahnhofsstraße denke, bekomme ich auch eine Gänsehaut.“ Er ließ sich in einen Sessel nieder, in dem sonst der Hund saß. „Die Hitzewelle läßt niemanden kalt, manche nennen sie sogar Tsuwarmi“, sagte er. „Viele besuchen dann die Kaiserpfalz. Dort kann man im unterirdischen Quellkeller, wo man sich im 11 Grad kalten Wasser abkühlen kann, den Herbst abwarten.“ Der alte Mann kannte den Quellkeller in der Kaiserpfalz. Das war wirklich ein magischer Ort, in dem man auf andere Gedanken kam. Er putzte sich die Nase. Er hatte sich von seiner Klimaanlage einen Schnupfen geholt. „Für alle Vergnügungen muß man seinen Preis bezahlen, dachte er, „aber ich fühle mich gut dabei.“ Er wollte sich in keinem Jahr mehr den sommerlichen Hochtemperaturen wehrlos aussetzen.  Wenn er nicht in seinem Dachzimmer sitzen konnte, um weiter arbeiten zu können, wurde er unverträglich und unglücklich. „Wenn es hier so heiß ist, daß man Spiegeleier auf dem „Hochbeetsitzelement" am Königsplatz braten kann“, sagte Alfred, „dann fliehen viele nach Dörenhagen. Dort ist es in der Regel sechs Grad kälter als in der Innenstadt. Es gibt Stellen in Dörenhagen, da bleibt der Schnee das ganze Jahr über liegen.“ Der alte Mann lachte und schüttelte den Kopf.  Alfred aß von seinem Eis. „ Ich habe einen Bekannten in Elsen, dessen Freundin hat ganz kalte Füße, der ist natürlich fein raus.“ Der alte Mann stand direkt vor seiner Klimaanlage und fühlte sich wie ein Mitarbeiter von Bofrost Tiefkühlkost. „Die heißen Tage haben auch Vorteile, gerade wenn man in einem Dachgeschoßzimmer wohnt“, sagte er. „Man kann Hackfleisch in die Luft werfen und Frikadellen auffangen.“  Die beiden Freunde schauten sich an und lachten. Am besten war der Sommer zu ertragen wenn man nicht allein war.
 
 
© 2020 Erwin Grosche