Auteuil-7804

Petra Koßmann brilliert in Cocteaus „Die menschliche Stimme“

von Frank Becker

Foto © Anja Dassler

Auteuil-7804
 
„Die menschliche Stimme“
Einakter von Jean Cocteau
 
Besuchte Vorstellung: Generalprobe am 28.8.2020
 
Schauspiel: Petra Koßmann - Regie / Bühnenkonzeption: Beate Rüter - Übersetzung: Barbara Engelhardt - Fotos: Anja Dassler
 
„Wir reden und reden und denken nicht daran, daß wir nachher schweigen.“
 
Eine Frau in Schwarz im kreisrunden Licht des Scheinwerfers, nur fähig zum Sprechen und Zuhören, denn sie steht gefesselt, verschnürt, umwickelt von einer weißen Telefonschnur im Spot. Telefonschnur? werden sich die Nachgeborenen fragen, denn das Einpersonenstück Jean Cocteaus, das heute Abend Premiere auf der Bühne der Wuppertaler „börse“ hat, stammt aus dem Jahr 1930, als man sich nur so weit im Zimmer bewegen konnte, wie das an der Anschlußdose befestigte Telefonkabel es erlaubte. Das kann man theatralisch nicht einfach modernisieren, weil das sich-nicht-entfernen-können integraler Bestandteil dieses, nun ja, fesselnden Stücks ist.
Die Frau (sensationell: Petra Koßmann) spricht, ihr Gegenüber ist, wie man schnell lernt, der Geliebte, der sie nach fünf Jahren, schönen Jahren, von denen sie nichts, rein gar nichts bedauert oder vermissen möchte, verlassen hat. Man ist sich doch noch immer gut. Ist es ein letztes Telefonat, dessen Zeugen die Zuschauer werden? Oder ist noch etwas zu retten? Durch Zärtlichkeit, durch Großzügigkeit, durch versteckte Suicid-Drohung, durch scheinbare Nonchalance, Ungeduld, Zorn, durch Lüge und deren Bekennen und dann doch wieder verliebtes Flüstern? Man nimmt ihr die anfängliche Stärke, ihre freundschaftliche Souveränität ab, die sie mit jeder Faser ihrer Erscheinung verströmt. Ebenso das Abbröckeln der Stärke und den Zusammenbruch und das Wiedererstarken. Man fährt in Gänsehaut-Momenten des wütenden Ausbruchs zusammen, läßt sich einlullen, lauscht wieder aufmerksam und wird mißtrauisch – genau wie sie und der unsichtbare Partner in der Leitung, den wir gar nicht brauchen, denn ihr beredtes Schweigen, ihre Mimik offenbart, was er wohl am anderen Ende sagt. Der aber – mitunter schleicht sie die Frage ein, ob es ihn überhaupt gibt - bleibt durch ihren starken Willen ebenfalls gefesselt, darf erst auflegen, wenn sie es erlaubt…
 

Foto © Anja Dassler

Petra Koßmann vermittelt in diesem Kammerspiel die gesamte Klaviatur der Gefühle und ihrer sprachlichen wie mimischen Verkörperung. Sie beherrscht in ihrer Tour de force plappernd, flirtend, säuselnd, klug argumentierend, drohend, bohrend neugierig, zornig und verzweifelt die Bühne, die ihr gehört, auf der sie ganz langsam die Fesseln abstreift - und sie beherrscht ihr Publikum. Es gibt wohl kaum eine Stimme, die aus mehr Nuancen schöpfen kann als ihre, kein Gesicht, das mehr Ausdrucksmöglichkeiten hat als das ihre. Man versinkt als Zuschauer in diesem dramatischen Monolog, dessen Bestandteile man als Versatzstücke des eigenen Lebens mitunter erschreckt wiedererkennt, weil man sie Mal um Mal gehört, gesagt, benutzt hat. Jean Cocteau fokussiert die Welt aller Beziehungsdramen und ihrer verbalen Äußerungen in diesem einzigen Telefonat. In Petra Koßmann unter der sensiblen Regie von Beate Rüter hat das Stück seine ideale Interpretin gefunden. Mein Tip: Nicht versäumen!
 
„Es gibt nichts, das mehr Orakel sein könnte, als das Telefon“
Jean Cocteau
 
Premiere: Sa 29.08.2020, 20 Uhr, die börse, Wolkenburg 100, 42119 Wuppertal
Weitere Aufführungen:
Fr 11.09.2020, 20 Uhr (die börse)
Fr 30.10. / Sa 31.10.2020, 19.30 Uhr, ADA (Insel e.V.), Wiesenstr. 6, 42119 Wuppertal
Im Januar 2021 im Internationalen Begegnungszentrum des Caritasverbands Wuppertal/Solingen, Hünefeldstr. 53a, 42285
Stückdauer: ca. 50 Minuten
 
Kartenreservierung bei www.wuppertal-live.de bzw. beim Veranstalter.