Die sieben vor ZWEI Uhren

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Die sieben vor ZWEI Uhren
 
Sowohl aus verkaufsstrategischen als auch aus dekorativen Gründen hat es sich bewährt, die zum direkten Verkauf angebotenen Uhren auf die bloße Zeitandeutung von sieben vor ZWEI zu stellen. Exakt ausgedrückt wird man diese Uhrzeit mit 13 Uhr 53 definieren, also schlicht sieben vor ZWEI.
Dieses ungleichschenklige Dreieck scheinbar ewiger nachmittägiger Zeitillusion bringt nicht nur die Uhr als optisch rundes Ganzes voll zu seiner zeitdienlichen Geltung, sondern stärkt auch die Anteilnahme an der rein funktionalen Beziehung des kleinen zum großen Zeiger.
 
Andere vorgetäuschte Uhrzeiten - wie vier vor ACHT oder zwölf nach SECHS - können sich nicht bewähren, da fiktive Zeiten nach SECHS Uhr Nachmittag den potentiellen Käufer in der Regel an den Feierabend oder den nahenden Geschäftsschluß mahnen und so leicht zur Kaufabschluß vereitelnden Eile treiben. Optische Experimente - wie vormittägige Einstellungen von vor ZWÖLF Uhr - machen instinktiv müde und fördern eher das Zurückziehen des Käufers in private Bereiche.
 
Das Stagnieren sowohl des kleinen als auch des großen Zeigers auf Punkt ZWÖLF Uhr löst beim Betrachter knurrend den Pawlowschen Hungereffekt aus und wird als bequeme Zeiteinstellung in den üblichen Kaufhausuhrenabteilungen gehandhabt, wo sie eher das dürftige Verkaufsinteresse der notdürftig verkaufsmotivierten Kauhausuhrenabteilungsverkäuferinnen, die auf ihre ZWÖLF Uhr Mittagspause warten, signalisiert als die Einleitung zu einem tatsächlich verkaufsabschließenden Erfolg.
 
Seriöse Uhrengeschäfte wie Wollmann & Co. stellen auch im Zeitalter der unfehlbaren Digitaluhren ihre Zeitzeugen auf die schlichte Uhrzeit sieben vor ZWEI, damit sich der Käufer nicht über eine Uhrzeit informiert, sondern über eine Uhr.
Denn was passiert in der Welt um sieben vor ZWEI? Man kauft eine Uhr!
Und wo in der Welt stehen die Uhren immer auf sieben vor ZWEI? In den tickenden Uhrenparadiesen von Wollmann & Co.!
 
für C.
 
© Erwin Grosche
Aus: „Über das Abrichten von Grashüpfern“