Berlin abseits der Touristenpfade

Bilder von Udo Straßmann, Detlef Hinz, Fritz Zander und Claus-Dieter Meier

Red.

Berlin abseits der Touristenpfade
 
Bilder von Udo Straßmann, Detlef Hinz,
Fritz Zander und Claus-Dieter Meier

Sie kennen Berlin? Ah, da wo der Flughafen nicht fertig wird. Es ist nicht nur der unfertige Flughafen. Berlin wirkt auf den ersten Blick als würde die Stadt von der Politik sich selbst überlassen. Das macht ja auch irgendwie den Charme Berlins aus. Deshalb ist die Hauptstadt so beliebt bei Touristen, weil unfertig und mitunter morbide.
Sicher waren Sie schon einmal in der Kuppel auf dem Reichstagsgebäude. Aber waren Sie auch schon auf dem Teufelsberg, dem ehemaligen Horchposten der Westmächte während des Kalten Krieges?
Sie haben noch nie das RAW-Gelände (Reichsbahnausbesserungswerk) besucht? Ein Areal für interkulturelle Projekte, Ausstellungen und Märkte sowie Heimat von vielen Clubs und Bars.
Schon mal einen Spaziergang durch Kreuzberg gemacht, wo internationale Künstler ganze Hausfassaden mit Wandbildern gestaltet haben?
Und in welcher Stadt können Sie, wie in Berlin, quasi in Charlottenburg durch eine für Berlin typische Hausfassade in den Hof gehen und in Wedding wieder herauskommen?
Vier Fotografen des Fotoforums Wuppertal sind über mehrere Jahre immer wieder nach Berlin gefahren und haben fotografisch festgehalten, daß Berlin mehr zu bieten hat als Museumsinsel und Brandenburger Tor.
Neugierig geworden? Dann kommen Sie und schauen sich die Ausstellung „BERLIN, abseits touristischer Pfade“ an.
 
Wo Honecker und Breschnew sich im sozialistischen Kusse auf einem Gemälde von Dmitri Wladimirowitsch Wrubel an der East Side Gallery zeigen und das rote Sofa nicht in Beelitz, sondern im Kietz steht, wo der zerschossen wirkende amerikanische Horchposten auf dem Teufelsberg und die großformatigen Leucht-Buchstaben des Buchstabenmuseums an die wilde Zeit der 20er Jahre erinnern, da ist Berlin. Und dieses Berlin ist mehr als die aus den Ruinen wiedererstandene Hauptstadt Deutschlands mit ihren touristischen Wahrzeichen, es ist gleichzeitig die sich stets weiterentwickelnde Kunst- und Kulturstadt, die ihren Charme aus der Vielfalt, ja aus dem Chaotischen und Anarchischen bezieht. Berlin sei die einzige Stadt Deutschlands, wo der Künstler sich als Bohémien fühlen könne, sagt man.
Bei unseren zahlreichen Besuchen seit den letzten fünf Jahren haben wir immer wieder verschiedene Aspekte dieses neuen Berlin fotografisch einzufangen versucht. Und es ist uns dabei ergangen wie Siegfried Kracauer, der die Sammlung von Fotografien von Berlin aus den 20er Jahren als „das ungewußt mitgeführte Leben“ empfand und dabei erkannte, daß „das Heute stückweise in die Vergangenheit zurücksinkt und das Vergangene stetig im Heute weiter rumort“.
 

Foto © Claus-Dieter Meier


Foto © Claus-Dieter Meier

Bei Detlef Hinz rumorte es gewaltig. Er wollte immer schon einmal an die Entwicklung Berlins erinnern. Und da setzen sich die großen Werbeschriften nahtlos fort in den großartigen Graffiti an den Häusern von Kreuzberg wie an der „Musikschule Tomatenklang“ oder dem poetischen Blütenträumer an dem Haus Ecke Falckensteinstraße und Görlitzer Straße.
 
Und Fotografieren macht hungrig und durstig. Wie gut, daß man noch die zahlreichen Currywurst-Buden findet, die wir und besonders Fritz Zander so schätzen, und die zahlreichen Berliner Kneipen, wie den „Schusterjungen“ am Prenzlauer Berg, aber auch die Joseph-Roth-Diele in Berlin-Mitte, wo sich die jungen Schauspieler und Schauspielerinnen treffen. Und fast schon familiär wird es im Stadtteil Lichterfelde, wo uns in einer Glücksspiel-Bar weniger die Spielgeräte interessieren als vielmehr die Typen, die dort „verkehren“, so daß wir vier Typen aus Wuppertal und Remscheid mehrmals einkehren. Ja, Berlin hat vielleicht nicht mehr Zilles Milljöh, aber genügend schräge Leute, die ihre Turnschuhe, Stiefel und Pömps unter der Oberbaumbrücke aufhängen.
 

am U-Bahnhof Schlesisches Tor - Foto © Fritz Zander


Foto © Fritz Zander

Leider gibt es auch solche darunter, die den libertären Geist der Stadt für ihre Zwecke zu nutzen suchen: Rassisten, Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, Rechts- und Linksradikale, Dumpfbacken, Fahnenschwenker und viele andere mehr. Daß Siegfried Kracauer in Berlin sogar einen „Kurort“ sah, mag man angesichts der neuen Bilder von Demonstranten vor dem Reichstagsgebäude gar nicht glauben. Er meinte, „daß man die Erholung nicht einmal mehr in Wannsee suchen muß, sondern sie in der Stadt selber findet, dort, wo die Unruhe am größten ist. Lauter kleine Oasen sind während der letzten Monate entstanden. Sie liegen mitten in der Krise und dem Wahlkampf und nur einen Schritt von den nächsten Straßenkämpfen entfernt.“
 

Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen, Verhörraum - Foto © Detlef Hinz


Rosinenbomber, Tempelhof - Foto © Detlef Hinz

Im Guten wie im Schlechten, in Berlin spürt man sich und die Zeit!        
 

Auf dem Heimweg - Foto © Udo Straßmann


Joseph-Roth-Diele - Foto © Udo Straßmann

Text: Udo Straßmann und Detlef Hinz

Redaktion: Frank Becker
(Anm.d. Red.: Wir können hier nur eine kleine Auswahl der ausgestellten Fotografien zeigen. Ein Besuch lohnt sich!)
 

Fotoforum Wuppertal - Galerie im Turm
Unterer Grifflenberg 65 - 42119 Wuppertal
Öffnungszeiten
Am 16., 23. und 30. September, jeweils 19.00- 21.00 Uhr

Wir bitten Sie beim Betreten der Galerie die bekannten Hygienevorschriften einzuhalten. Mund-Nasen-Schutz, Handhygiene, Abstand zu anderen Besuchern.
Ein Aufzug befördert mobil eingeschränkte Personen bis vor die Türe der Galerie.
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