Menetekel
oder
Retten Rettungsreime noch?
Die einen führen Tagebuch, die andern schreiben Memoiren oder nageln Pamphlete an Kirchen und Klohäuschen, um sich mal richtig auszumähren. Fritz Eckenga macht sich mit rücksichtslos gereimten Gedichten und feinen Enjambements Luft und die Seele frei, deshalb nennt er sie ja auch Rettungsreime – und zwar mit Schmackes! Eine neue Folge solcher Rettungsreime liegt nun vor und bietet höchst vergnügliche Lektüre: „Eva, Adam, Frau und Mann - da muss Gott wohl nochmal ran“. Der Dichter bedauert die Natur, und er hadert mit den Zuständen auf dem Planeten, mit Fußball und Olympia, mit der der Lächerlichkeit der Politik, mit Traditionen und dem Leben an sich, mit öden Orten wie einst Rayk Wieland und mit der Schöpfung des HErrn an sich. Bar jeglicher Hüllen stehen die beiden, die an allem schuld sind auf dem Buchumschlag da, von Nikolaus Heidelbach gezeichnet, nachdem sie am Baum der Erkenntnis genascht haben – und wir haben das auszubaden.
Fritz Eckenga ist sich der Fehlerhaftigkeit unsrer Spezies bewußt, er schmiert sie uns aufs Brot, und anders als andere nimmt er sich nicht aus. Im besten Sinne Wilhelm Buschs übt er einleitend Selbstkritik, um jeden Verdacht der Hybris abzuwenden. Er legt ein wunderbares Exempel dafür vor, daß und wie Gesellschaftskritik durchaus ins scheinbar leichte Gewand lustiger Lyrik zu kleiden ist.
Reim gar nichts
Eine Selbstkritik
Woran es dem Werk dieses Autors gebricht,
ist ganz ohne Frage das Großgedicht.
Es geht unterm Strich, wer will das bestreiten,
auf viel zu viel Seiten um Kleinigkeiten.
Blättern Sie ruhig, da wird es nicht besser.
Immer nur Plätschern in seichtem Gewässer.
Es wird nur im eigenen Saft geschmort
und mit Zahnstochern in dünnen Brettchen gebohrt
An die ganz großen Themen traut er sich nicht.
Nur mal als Beispiel: Die Kassenbonpflicht.
Fasse zusammen: Viel Wasser, kein Wein
und immer mal wieder ein unreimer Rein.
Man fragt sich: Retten Rettungsreime noch oder sind sie ein Abgesang, ein letztes Aufbegehren? „Seit Hölderlin wissen wir zwar: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, aber das Rettende war in letzter Zeit ziemlich zurückhaltend, hat anscheinend Kraft gesammelt, um jetzt in Rettungsreimen des wortmächtigen Fritz Eckenga ins Offene zu kommen“ schreibt der Verlag zwar klug dazu, doch zugleich quellen Mißbehagen und Zweifel zwischen den Zeilen hervor:
Sieh die Zeichen an der Wand, / es boomt, es geht voran. / Dort, wo früher Schlecker stand, / steht in Kürze Rossmann. / Super wird's, so richtig schick, / viel netter noch als nett, / Primark platt, dafür kommt KiK, / und zwar mit einem Outlet. / Neben Spieltreff eins und zwei / öffnet bald der dritte. / Leute zieht so schnell es geht / nach Gelsenkirchen-Mitte. Aktuell ist Eckenga allemal auch, hat er doch „Heraus zum roten 1. Mai“ flugs coronasiert:
(…) Kleiner Mann und Frau und Blagen, / bildet keine breite Masse, / Abstand halten, flach die Tasse / und statt Fahne Maske tragen!
Es ist ein sehr persönliches Buch mit vielen Selbstbetrachtungen geworden, in dem Fritz Eckenga nicht wenigen seine Freundschaft, ja Liebe versichert – allen voran die Perle, in dem er aber auch von anderen bewegt und bewegend Abschied nimmt – ich nenne nur Fritz Weigle al. F.W. Bernstein, der uns 2018 verließ und Wiglaf Droste, den er wegen seines viel zu frühen und jähen Todes vor gut einem Jahr schilt. Aber das kann Wiglaf jenseits wegstecken.
Ein fein rettungsgereimtes Bändchen, das ich allen zur Lektüre ans Herz legen möchte, die noch eins haben. Ein Dortmunder Union Export dazu (habe ich kürzlich mit Vergnügen im Getränkeladen meines Vertrauens wiederentdeckt) ist keine schlechte Idee.
Fritz Eckenga – „Eva, Adam, Frau und Mann - da muss Gott wohl nochmal ran“
Neue Rettungsreime
© 2020 Antje Kunstmann Verlag, 136 Seiten, gebunden, Schutzumschlag und Illustrationen von Nikolaus Heidelbach - ISBN: 9783956143861
18,- €
Weitere Informationen: www.kunstmann.de
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