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Wilhelm Raabe – „Pfisters Mühle – ein Sommerferienheft“

von Johannes Vesper

„Pfisters Mühle – ein Sommerferienheft“
von Wilhelm Raabe
 
Neu gelesen von Johannes Vesper
 
Wer kennt denn noch den „Schüdderump“, den „Hungerpastor“ oder die „Chronik der Sperlingsgasse“, seinen ersten und erfolgreichsten Roman? Insgesamt hat der Ostwestfale Wilhelm Raabe (1831-1910) 68 Romane und Novellen aber auch Gedichte geschrieben und von seiner erfolgreichen Schriftstellerei gelebt.
1884 erschien sein Roman „Pfisters Mühle“, der Umweltprobleme in Folge der Industrialisierung am Übergang Deutschlands vom Bauern- zum Industriestaat dargestellt.
 
Schullehrer Dr. phil. Eberhardt Pfister verbringt mit seiner jungen Frau die Sommerferien in der bereits verkauften Mühle seines Vaters, die einem Industrieunternehmen weichen soll. Er träumt von seiner Jugend in dieser Mühle am immer fröhlich plätschernden und blitzsauberen Mühlbach, erzählt seiner jungen Frau, wie er dort groß geworden ist und Privatunterricht bei dem Philosophiestudenten Adam Asche bekam, dem Mentor seiner Jugend , von dem er alles vor dem Besuch des Gymnasiums in der nahen Universitätsstadt gelernt habe. Adam studierte später Naturwissenschaften, promovierte und wurde Chemiker. Der Müller, also der Vater des Erzählers, betreibt nicht nur die Mühle, sondern daselbst auch sehr erfolgreich ein Gasthaus mit Biergarten, in welchem die Honoratioren der Universität mit ihren Familien, Studenten und Freundinnen singend und trinkend einen drauf machten, bzw. ihre Konvivien (Gelage) begingen. Der Müller ist als Wirt in der ganzen Gegend bekannt, geschätzt, stets gut gelaunt, bis er eines Tages einen wechselnden, manchmal strengen lästigen Geruch bemerkt, der so zunimmt, daß im Herbst die Gäste wegbleiben und zur Konkurrenz im Dorf wechseln. „Der Stank verschimphiert und schändiert mir alle meine Lust am Leben“, berichtet er dem Sohn. Außerdem kommen Fische, „einzeln oder in Haufen, die silberschuppigen Bäuche aufwärts gekehrt auf der Oberfläche des Mühlbachs herabgetrieben“, aus dem ein „träge schleichendes, schleimiges, weißbläuliches Etwas geworden“. „Schleimige Fäden hängen um die von der Flut erreichbaren Stämme des Ufergebüschs und an den zum Wasserspiegel herabreichenden Zweigen der Weiden“. Selbst die an sich unsensiblen Enten „stünden gleichsam angeekelt herum und guckten leise und melancholisch gackelnd“ auf ihren ehemals so herrlichen Bach. Natürlich vermutet der Müller eine Vergiftung aus „nichtsnutziger Halunkenhaftigkeit“ weiter oben im Bachlauf.
 

Wassermühle in einer Landschaft mit blühenden Bäumen mit freundlicher Genehmigung des Olms Verlags
aus „Wilhelm Raabe: Das zeichnerische Werk“ (ISBN 978-3-487-14332-3 2010).

Tatschlich entdecken sie unter Führung des zukünftigen Chemikers A. Asche, daß die Zuckerfabrik Krickerode einige Büchsenschüsse bachaufwärts, diese große industrielle Errungenschaft der Neuzeit, schemenhaft sichtbar in wehendem Nebel, grau in grau schwarzen Rauchwolken, weiße Dämpfe auskeuchend, „heiße schmutzig-gelbe Flüssigkeit“ in den Mühlbach entläßt. Es gibt einen Prozeß mit Unterstützung des renommierten Rechtsanwaltes Dr. Riechei, der sich vor allem freut, einen publikumswirksamen Prozeß führen zu können. Immerhin wird dieser gegen Schwefelwasserstoff und Ammoniak, kurz gegen die Krickerode-AG gewonnen. Für den alten Müller, infolge der zermürbenden Auseinandersetzung krank und depressiv, kommt dieser Sieg zu spät. Er vererbt die Mühle und verstirbt. Eberhardt Pfister hat die Mühle verkauft, obwohl sie unauslöschlich in seine Seele gemalt war, hat geheiratet und lebt, wie auch sein Jugendmentor inzwischen in Berlin, wo dieser mit seinem wasserverderbenden „Erdenlappenlumpenundundfetzenreinigungsinstitut“, also seiner chemischen Reinigung in gotischer Architektur des Historismus viel Geld verdient und die Spree verschmutzt. Schmurky und Kompagnie heißt das Unternehmen.
 

Krickerode heute - Foto © Johannes Vesper

Wenn sich Chemie und Wirtschaft verbinden, bleiben Natur und Umwelt aber auch Lebensformen oft auf der Strecke. Dem Roman liegt tatsächlich eine Umweltkatastrophe aus dem Jahre 1881 zu Grunde, bei der belastete Abwässer einer Zuckerfabrik im Osten Braunschweigs zur Eutrophierung des dortigen Mühlflüßchens geführt und Mühlräder zum Stillstand gebracht haben. Die Konflikte zwischen Umwelt, Heimat und Fortschritt erleben wir heute stärker denn je z.B. bei den Kämpfen um das rheinische Braunkohlenrevier oder um den Weiterbau von Autobahnen. Das Buch ist unterhaltsam geschrieben, erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit wegen ständigen Wechsels der Zeiten im Ablauf der Geschichte und der Erzählebenen. Eine alles andere als konfektionierte Sprache, phantasievoll redende Namen und viele vor dem inneren Auge seiner Romanfiguren und des Lesers entstehende Bilder katapultieren den Leser in die Welt des 19. Jahrhunderts. Daß der Schriftsteller auch ein sehr begabter Zeichner war – 712 Zeichnungen und Gemälde werden im Werkverzeichnis gezählt- ist wenig bekannt. Raabes fast vergessener Roman entfaltet aktuell durch sein Thema wieder Relevanz: Luftverschmutzung und Feinstaub, Gewässerverschmutzung durch industrielle Lebensmittelproduktion der Landwirtschaft mit Überdüngung, Klimazerstörung durch industrielle Fleischproduktion und Nutzung fossiler Energien: Pfisters Mühle gegen Krickerode: Diese Frage scheint heute wichtiger denn je.
 
Wilhelm Raabe – „Pfisters Mühle – ein Sommerferienheft“
2014 e-artnow, 346 Seiten – ISBN 978-802682726, e-book 0,46 €
Aber auch anders zu erhalten, z.B. Reclam Universal Bibliothek oder antiquarisch bei Online-Anbietern