Gesang von Hitze, Stahl und Wandel

von Michael Zeller
 
Gesang von Hitze, Stahl und Wandel
 
Die Augen hinter dunklem Schirm
der bis zum Kinn hinunterreicht
halte ich mich für gerüstet
reinzuschauen in den Ofen
und seh – trotz Schirm – in Überweißes
in das Herz eines Kometen
der einen Feuerball verschlingt 
 
Ein Bild des Grauens und der Lust
 
Bis einer das Bullauge öffnet –
 
Ein Hitzehammer vor den Kopf
will den Atem mir verbrennen
Der Schlag wirft mich zurück ans Gitter
Ich zieh den Kopf ein, will‘s doch sehen
Neugier kämpft mit Schutzreflex
Das Glühen ist zum Greifen nah
brauchte nur den Arm zu strecken . . .
 
Zwölfhundert Grad sind angezeigt
und ich spüre von der Glut
einen Anhauch auf der Haut
der mich ´bald von den Beinen holt
Menschenfleisch ist nicht von Eisen
Wär in einem Nu verzehrt
dieses Stäubchen da von mir
ohne Rest und ohne Spuren
 
Und sind bloß Menschen hier wie ich
die diese Riesenkraft entfachen
mit allen Listen ihrer Klugheit
und sie sich auch vom Leibe halten
Ich lern Respekt in der Sekunde
die mir den Atem fast versengt
vor den Gewalten der Natur
und auch vor mir und meinesgleichen:
Vor dem Jonglieren auf der Grenze
dem Spiel am Rand der Katastrophe
das unser Überleben sichert
 
Und doch: der Schock sitzt tief genug
Mein Körper läßt mich nicht vergessen
wie ihm geschah vor diesem Ofen
 
Seit Generationen gibt das Werk
Menschen Arbeit hier und Brot
und ging dabei von Hand zu Hand
seit seiner Gründung. Große Namen
Stumm und Hoesch, Thyssen, Krupp
waren Eigner, sind es noch
und werden nicht die letzten bleiben
„Europafähigkeit“ ist Mode
im Monopoly der Zeit
Europa liebt die großen Formen
um  weltweit mit dabei zu sein
Das Fundament des Ruhrgebiets
mit seinem Stahl und seiner Kohle
ist zum Treibsand längst geworden
Ungemütlich hier zu planen
wie die Zukunft aussehen soll
Der Überlebenskampf ist hart
ihn scheren keine Traditionen
und menschliche Verbundenheit
 
Beweglichkeit – allein das zählt
Wie lang das gut geht? Schwer zu sagen
Halb Lotterie und halb Berechnung
 
Hier im Werk sind es Profile
in T - und U - und Winkelform
für Schiffe, Flugzeug, Brückenbau
vor allem: Aufzugsführungsschienen
Mit Profilen will das Werk
im Konzert des Weltorchesters
seine Stimme hören lassen
und das nicht nur europaweit
 
Ob im Pariser Eiffelturm
oder in Arabiens Tempeln
für die Moslems aller Welt
auf ihrer Pilgerfahrt nach Mekka:
Von hierher stammen die Profile
die den Aufzug gleiten lassen
rasend schnell und ohne Ruck
hochtrainierte Einzelteile
Weltweit ist man der Klassenprimus
und exportiert in alle Länder
aus diesen großen Hallen hier
 
Ich bin dabei seit aller Frühe
wie solche Aufzugsführungsschienen
aus einem Eisenklotz entstehen
Schwere Männer, dreckverschmiert
stehen sie an den Maschinen
in schwarzem Stahlstaub und in Schmiere
Das Öl, das wird hier weggesoffen
und läßt das ganze Walzwerk dampfen
Es lebt das alte Bild von Arbeit
Nicht alles geht auf Knöpfchendruck
Selbst bei dem neuesten Gerät
ist Menschenkraft, ein scharfes Auge
noch kein verstaubter Ladenhüter
 
Der Klotz aus Stahl, orangerot glühend
wird aus der Glut herausgestoßen
und abgewaschen - ja, das geht!,
verschwindet ganz im Wasserdampf
von der Höhe eines Hauses
der sich um sein Erscheinen bläht
Jetzt erst darf er durch die Walzen
(in der Walze sitzt die Kunst!)
und dabei wird er lang und schmaler
nimmt mählich seine U-Form an
Aus sieben Metern Eisenklotz
werden siebzig Meter Schiene
und sein Rot verblaßt zu Rosa
 
jagt dahin in hohem Tempo
 
Denn Eile ist. Die Hitze flieht
hinab bis auf neunhundert Grad
Kälter darf es hier nicht werden
sonst verformt sich Stahl nicht mehr
Ein Prozess greift in den nächsten
Maschinenkraft und Menschenhand
hochgetriebene Präzision
schweigend geht es, Griff auf Griff
 
Nur der Stahl gibt kräftig Laut
gellt hoch unters Hallendach
bis er ihrem Bild entspricht
auf den Zehntel Millimeter
 
Und immer wieder sind es Menschen
die den glühendheißen Stahl
wie er auf den Rollen rast
durch die Halle – vor, zurück
von einem Walzgang hin zum nächsten –
Menschen sind es, hochbezahlt
Wattestecker in den Ohren
die nah am Glühen Hand anlegen
mit archaischem Gerät
das hier kaum mehr passen will
 
Ein Vorarbeiter stößt den Holzstab
(ähnlich einem Besenstiel)
dem Eisenband in seine Flanke
daß die Flammen hoch aufschlagen
hält die Taschenlampe rein
einen Schuhbreit weg vom Glühen
Risse hat er auszumachen
oder Überwalzungen
Dann drei Mann mit Riesenzangen
drehen ein Werkstück sich zurecht
das schief auf den Rollen rennt
 
Das ist allerschwerste Arbeit
der Hitze wegen, der Gefahr
Nach einer halben Stunde höchstens
werden die drei abgelöst
länger hält das keiner aus
 
Perfekte Arbeit! staunt der Laie
Hier hat „Made in Germany“
noch einmal seinen alten Klang
 
Doch was gut ist, ist auch teuer
Man spricht von „Apothekerpreis“
bei den Kosten der Profile
die aus diesem Walzwerk kommen
kalkuliert auf Pfennigsbruchteil
Billigkonkurrenz aus Asien
lockt die Kunden in Europa
Wie viel darf die Perfektheit kosten
wie lange noch wird sie bezahlt?
Im Monopoly der Zeit
wird aufgekauft, wird fusioniert
Das Geld – es wandert zum Gewinn
Heut muß es in der Kasse klingeln
und nicht erst im nächsten Jahr
Trügerisch sind die Bilanzen
vielleicht schon nächstens Altpapier
 
Am Ende eines langen Tages
verlasse ich die Arbeitsstätte
zusammen mit den Aufzugsschienen
 
Direkt ans Walzwerk grenzt die Koppel
Im Dunst liegt sie des Sonnenabschieds
weich sinkt er auf die Weide hin
und auf das Bild von ein paar Pferden
Weiß von der Kühle des Oktober
stoßen sie den Atem aus
 
So still auf einmal nach dem Lärm
 
Hier in der Stille klingt es nach
das Lärmen in den hohen Hallen 
Es riecht nach faulem Obst und Erde
nicht mehr nach Schmiere, heißem Stahl
 
Erde – dunkle, feuchte Masse
altvertraut seit Kindheitstagen
Hier ruht alles beieinander 
Stahl und Hitze, Fleisch und Bein
wenn wir es auch kaum fassen können
mit unserem trüben Menschenblick
 
 

Michael Zeller