Brötchenpsychologie

von Wendelin Haverkamp

© Jürgen Pankarz
Brötchenpsychologie
 
Was machen Sie, wenn Sie Streit haben? Lassen Sie sich dann gelegentlich beraten, psychologisch? Oder haben Sie nie Streit? Wenn das so ist ~ sollten Sie sich dringend mal beraten lassen.
       Ich hab mir ja angewöhnt, mich nur mit mir selber zu beraten. Außer vielleicht mit Inge, das kommt vor nennen wir es interne Eheberatung. Sie kennen den Satz: Die Axt im Haus erspart die Eheberatung. Das stimmt zwar, aber es geht auch anders. Man muß nur eines unbedingt vermeiden: „Intensiv zusammen reden“. Wenn Sie das vermeiden können, dann geht es auch ohne Gewalt.
Also, wenn meine schöne junge Frau und ich mal zusammen reden, dann nur ganz beiläufig, am Rande; über Kleinigkeiten, also Dinge, die uns ziemlich egal sind: Über die Existenz und ihren Sinn, über menschliche Probleme und ihr Gewicht, meistens über mein Gewicht. Und wenn wir dann so dasitzen und über unsere Beziehung nachdenken und kommen nicht weiter, dann, kleiner Tip von mir für Sie, falls Sie mal in eine vergleichbare Situation kommen sollten: Dann mache ich mir ein Leberwurst-Senfbrötchen.
       Das geht so: Sie nehmen ein frisches, am besten noch handwarmes, halbes Brötchen, schmieren Butter drauf, dann zwei Finger dick Leberwurst, am besten geräucherte, und nageln eine kräftige Senfschicht als Krönung oben drüber - lecker!
        Ich meine, es könnte vielleicht noch schöner sein, wenn ich auch mal die obere Hälfte vom Brötchen kriegen würde. Aber wenn Inge das Brötchen durchschneidet und fragt: „Oben oder unten?“ Dann sag ich immer: „Du, ist egal! Nimm Du nur!“ Und was tut sie? Sie nimmt die obere Hälfte, und ich krieg die untere. Immmmer!!
       Nicht, daß wir uns falsch verstehen: Das kann mich natürlich nicht weiter tangieren, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich weiß doch, wie´n Brötchen schmeckt! Die untere Hälfte schmeckt garantiert genauso wie die obere; nehm' ich zumindest an, ich hatte ja noch nie eine. Einerseits kann man sagen: Was ist schon ein halbes Brötchen gegen eine funktionierende Ehe? Andererseits: Die Art, wie man sein Brötchen teilt, sagt mit Sicherheit etwas über den Zustand einer menschlichen Beziehung brötchenpsychologisch gesehen.
       Wobei auch formale Aspekte eine große Rolle spielen: Ein Sesam-Brötchen-Oberteil hat nämlich einen ganz anderen Einfluß auf die menschliche Phantasie als ein Nußbrötchen-Unterteil. Vielleicht wird ja bereits die Zerteilung der Backware an und für sich als Schmerz empfunden und löst im Unterbewußten Identitäts-Verwerfungen aus? Projiziert womöglich der Semmel-Rezipient die eigene Zweierbeziehung unmittelbar in die Schrippe hinein?
       Denn solange das Brötchen unschuldig und knusprig da liegt, herrschen Friede und Einheit. Aber wenn es zerschnitten wird, gibt es zwei davon, und schon ist eins schöner als das andere. Dabei waren sie gerade noch eins! Insofern geht es hier zweifellos um den Verlust der naiven Geschlossenheit des Gebackenen: Man sieht die mit dem Partner gelebte Einheit vor sich - zerbrochen, also brötchenpsychologisch gesehen.
       Meistens schneidet Inge die Brötchen auf, weil sie meint, sie könne nicht mitansehen, wenn ich das mache. Aber das Problem ist - ich kann gar nicht anders! Ich nehme das Messer, stoße mit ein bis zwei Schlägen die Schneide in den Brötchenlaib hinein und breche langsam rundum das Brötchen krachend auf, daß die Kruste splitternd durch die Bude fliegt ~ wunderbar.
       Inge guckt dann immer ganz demonstrativ zur Decke, auch so'n Punkt. Und wenn ich ihr die beiden Hälften hinhalte und frage, meistens nonverbal, wie bei lebenslänglichen Beziehungen üblich: „Hmmhmhmm?“ Dann würde ich doch garantiert die untere Hälfte nehmen, wenigstens einmal im Jahr! Aber Inge nimmt immer die obere. Heute morgen wieder. Das sind dann so Momente, in denen ich froh bin, daß ich mich inzwischen brötchenpsychologisch ein Stück weit zurücknehmen kann.
       Und deshalb lautet mein Tip, wie Sie Lebens- und Beziehungskrisen in den Griff bekommen können: Machen Sie sich ein Leberwurst-Senf-Brötchen. Erst mit dick Butter die Brötchenoberfläche gründlich versiegeln, dann drei Zentimeter Leberwurst Minimum draufpacken, am besten geräucherte, und zum Schluß das Ganze unter einer satten Senfschicht verschwinden lassen: Da weiß kein Mensch mehr, was da drunter war.
 

Aus dem Buch „Parmesanides“, Aachen 2003
Die Illustration stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.