Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 11

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski
Michael Zeller
 
Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Corona-Logbuch Folge 11
 

Lesung bei Corona
 
Zufall oder nicht: Auf den Tag genau vor acht Monaten hatte meine letzte Lesung stattgefunden, im Frühlingsmonat März. Vor Publikum natürlich, wie das für uns damals, vor Corona, selbstverständlich war. Und heute ist es endlich wieder mal so weit.
Acht lange Monate ohne Auftritte in der Öffentlichkeit (und das heißt auch: ohne Einkünfte). Von der weitgehenden Aussetzung des sozialen Lebens im ganzen Land wegen der Pandemie war (und ist) in erhöhtem Maße die Kultur betroffen.
Jetzt also, tiefer Novemberherbst, trotz der staatlich erlassenen zweiten Schließung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aktivitäten im Land, wagen sich ein paar Veranstalter wieder, kulturelle Ereignisse anzubieten. Der organisatorische Rahmen ist  überaus eng gesteckt, die Vorsichtsmaßnahmen auf allen Seiten schwerlich zu überbieten. Publikum bleibt konsequent ausgeschlossen. Eigentlich ein Widerspruch in sich selbst, doch das ist der Preis, wenn überhaupt eine Erlaubnis erteilt werden soll.
Meine Freude über die Einladung ist riesig. Ich bin sogar, wie früher, etwas aufgeregt. Endlich kann ich wieder mit dem, was ich kann und mag, nach draußen gehen und zeigen, was in der Einsamkeit des Schreibtischs entstanden ist. Aber die reine Freude ist es nicht, in der ich mich auf den Weg mache, allein. Niemand darf mich begleiten. Auch keine Kollegen werde ich dort antreffen, wie sonst, nicht die paar Freunde meiner Bücher, die treu zu meinen Lesungen kommen, dazu unbekannte, interessierte Gesichter, die immer willkommen sind ...
Vor der Tür, auf der Straße, wartet der Kollege, der vor oder nach mir ebenfalls lesen wird.  Es ist herbstlich kühl, leichter Nieselregen fällt. Keine Beleuchtung über der Tür des Lokals. Alles verrammelt, wie für immer. Unsere Begrüßung ein Kopfnicken, nur die Augen lachen. Kein Händedruck oder Schulterklopfen, nicht mal mehr das Anstoßen der Ellenbogen. Selbst das scheint jetzt schon zu gefährlich. Drei Minuten noch auf dem Bürgersteig in dem garstigen Wetter. Immer noch ist nirgendwo eine Beleuchtung zu sehen. Einlaß durch den Hintereingang, auf die Minute genau.
Auch der Saal, wo die Lesung stattfinden wird, ist dunkel. Den Veranstalter erkenne ich unter seiner Maske, die zwei oder drei Techniker, die die Lesungen aufnehmen werden, würde ich auch ohne Maske nicht kennen. Mit einem „Hallo“ ins Leere grüßt man sich. Auf dem Podium Tisch und Stuhl. Die Schreibtischlampe ist - außer der Kamera - die einzige Lichtquelle des ganzen Raumes. In seinen Ecken macht es sich die Finsternis gemütlich. Die Veranstalterin geht die drei Stufen hoch, legt ihre Maske ab, stellt mich kurz vor, tritt wieder ab. Dann darf ich sie ersetzen und fange an, meinen Text zu lesen. Als einzige Blickrichtung ist mir das helle Quadratauge der Kamera zugewiesen. Drumherum nur Düsternis. Die Aufnehmenden unten eher zu ahnen. Ich höre mich sprechen und sprechen. Hin und wieder schurrt mal das Stuhlbein eines Kameramanns über den Fußboden. Sonst gibt es keinerlei Resonanz auf meine Worte.
Der Text ist durch, ich klappe das Buch zu, steige im Dunkel vorsichtig die drei Stufen  vom  Podium herab. Ein knappes, freundliches Lob der jungen Veranstalterin. Sie habe meine Worte ganz interessant gefunden. Und unter dieser oder jener elektronischen Adresse könne ich – wie jeder sonst  auch – meine Lesung hören und sehen. Sie gibt mir den Scheck, dann hat sie den Kollegen anzusagen. Vorher muß ich natürlich den Raum verlassen haben. Ich taste mich die Treppe runter zum Ausgang, orientiere mich Richtung Bahnhof, wo ich hergekommen bin.
Auf dem Weg zum Bahnhof ein paar nette Kneipen. Jetzt ein frisch gezapftes Pils! Das wär’s doch, nach getaner Arbeit. Doch leider jede Tür zugesperrt. Keine Menschenseele auf der Straße. Wozu auch? Die Stadt liegt da wie ausgestorben. Auf dem Bahnsteig warten drei, vier Leute, weit genug auseinander. Alle mit Maske, Gott sei Dank. Zwei reden sogar miteinander. Ich  schaue kritisch rüber, ob da auch alles stimmt. Erstaunlich, welche Reflexe ich mir in acht Monaten mit Corona antrainiert habe. Man will ja überleben…. Noch ein paar Schritte ins Abseits. Dann scheint der Abstand zu den anderen groß genug. Das Wort von der digitalen Vereinsamung schleicht sich in meine Gedanken.
Dies also war meine Rückkehr in die kulturelle Öffentlichkeit, wie Corona sie gerade noch möglich macht, am Rand der Legalität, zumal in Zeiten, da das gesamte öffentliche Leben im Land erneut darnieder liegt. Ich könnte heulen auf dem zugigen Bahnsteig. Und gleichzeitig gibt mir dieser kümmerliche Abend einen solch irren Auftrieb, daß ich auf die Gleise hüpfen möchte.
 
 
© 2020 Michael Zeller