So jung und spritzig wie vor 100 Jahren

Guillaume Nouaux & The Stride Piano Kings

von Frank Becker

So jung und spritzig wie vor 100 Jahren
 
Das Stride Piano erlebt eine sprühende Renaissance
 
Der New Yorker Stadtteil Harlem, zwischen der 58. und 130. Straße, wurde in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kreatives Zentrum des Jazz und Jazz-Piano mit dem „Cotton Club“, dem Apollo- Theatre und dem „Savoy Ballroom“ oder dem „Rhythm Club“ in der 2236 Seventh Avenue. Im musikalischen Wettstreit spielten bekannte Pianisten, wie z.B. Duke Ellington, James P. Johnson oder Fats Waller gegeneinander. Harlem wurde zum Mittelpunkt des sehr technischen, treibenden Solostils mit der Bezeichnung „Stride Piano“ (vom englischen „stride“: schnell und mit großen Schritten gehen). Diese Technik basierte auf dem Prinzip der melodischen Improvisation über einer feststehenden harmonischen Basis, bei der die linke Hand ständig zwischen Basston und Akkord wechselt. Der Harlem Stride Rag fand seine prominentesten Vertreter in James P. Johnson, Willie „The Lion“ Smith, Eubie Blake und natürlich dem großen Thomas „Fats“ Waller“. Mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er endete die große Zeit des Harlemer Jazz.
 
Doch genau 100 Jahre später feiert diese besonders lebensfrohe Form des jazzbetonten Klavierspiels dank exzellenter Interpreten auf einem wunderbaren Album äußerst fröhliche Urständ. Daß man das seit wenigen Tagen erleben kann, ist dem französischen Schlagzeuger Guillaume Nouaux zu verdanken, der mit sieben Pianisten der internationalen Jazz-Szene (Louis Mazetier, Harry Kanters, Bernd Lhotzky, Chris Hopkins, Alain Barrabes, Rossano Sportiello, Luca Filastro) berühmte Kompositionen, Ohrwürmer von u.a. Duke Ellington, Fats Waller, Ray Noble, Coleman Hawkins, Richard Rogers und Harold Arlen eingespielt hat.
Bernd Lhotzky hat die Ehre, den Reigen mit dem klassischen, tempobetonten „Harlem Strut“ des legendären James P. Johnson (1894-1955) zu eröffnen. So muß es damals in etwa geklungen haben, wenn wohl auch die Klaviere in den Clubs nicht so edel gestimmt gewesen sein werden.
Louis Mazetier und Luca Filastro schließen mit zwei schnellen Nummern von Frank Loesser und Duke Ellington an, bis Chris Hopkins mit dem Standard „Willow Weep For Me“ einen sanften, nahezu verträumten Akzent setzt. Es geht also auch in Slow Mood. Fats Wallers „Jitterbug Waltz“ ist eine kleine Delikatesse im Dreivierteltakt, von Harry Kanters veredelt. Mit den (Noten-)Schlüsseln klimpert Luca Filastro in „Handful of Keys“, abermals von Fats Waller, dazu ein hinreißendes Drum-Solo von Nouaux, der auch in „Mop Mop“ von Coleman Hawkins mit einem großen Solo-Auftritt brilliert. Der Ohrwurm „Tea For Two“ von Vincent Youmans ist wie für Stride komponiert, wie Harry Kanters vorführt.
Jeder für sich ist ein Könner, ein Star am Instrument, technisch brillant und pieksauber aufgenommen, während sich Guillaume Nouaux dezent aber unverzichtbar, oft nur mit Tom Tom/Snare und Hi-Hat, gelegentlich mit Becken und Besen (wie z.B. bei „Willow Weep For Me“) und nur selten mit dem großen Drumset (wie z.B. in „The Lady Is A Tramp“ mit Alain Barrabes) im rhythmischen Hintergrund hält.
Bernd Lhotzky hat den Reigen eröffnet, und er darf ihn auch schließen: Harold Arlens Film-Klassiker „Over the Rainbow“ gibt ihm viel Raum zum Spielen, was ambivalent zu betrachten ist. Ein feines Album mit vielen Bonbons für Freunde des delikaten Piano-Jazz, mit dem das Stride Piano eine sprühende Renaissance erlebt.
 
Guillaume Nouaux & The Stride Piano Kings
© 2020 Guillaume Nouaux
Louis Mazetier, Harry Kanters, Bernd Lhotzky, Chris Hopkins, Alain Barrabes, Rossano Sportiello, Luca Filastro (p) - Guillaume Nouaux (dr)
Titel:
1. Harlem Strut – 2. Drop Me Off In Harlem – 3. I Wish I Were Twins – 4. Willow Weep For Me – 5. Runnin´ Wild – 6. Jitterbug Waltz – 7. Cherokee / Salt Peanuts – 8. Why Did You Tell Me ‘I Love You' – 9. Handful of Keys – 10. Overnight – 11. Mop Mop – 12. Tea For Two – 13. When I Grow To Old To Dream – 14. The Lady is a Tramp – 15. Over the Rainbow
Gesamtzeit: 53:27
 
Weitere Informationen: www.guillaumenouaux.com