U-Boote in Rom

von Wendelin Haverkamp

© Jürgen Pankarz
U-Boote in Rom
 
Im Mai, wenn die Böen durch Rom fegen, der Sturm dem Pantheon unter den Rock fährt und den Menschen die Pollen reihenweise um die Backen schlägt, im Wonnemonat also, wenn Wien tanzt, dann niest Rom.
     Und dann läßt man sich schon mal was vom Herrn Hotelvorsteher empfehlen, der sofort sein persönliches Spitzenrestaurant reserviert, weil: Unbedingte prenotare, weile isse berühmte, molto buono und tipico romano. Nirgends in Trastevere, geschweige denn in Rom, werde Fisch so delizioso zubereitet wie an der Piazza Cosimento, und das will was heißen, wenn ein Platz schon so heißt, nämlich ebenso cosi wie mento.
     Und dann steigt man aus dem Taxi, schlendert die Häuserfront entlang und stellt in der Regel schnell fest, daß links und rechts von der gebuchten Adresse viele viel schönere Restaurants sind, da sitzen dann auch die Römer drin.
     Aber nun ist man halt dem Provisions-Vorsteher der Herberge, der wahrscheinlich noch nie in seinem Leben in Trastevere gewesen ist, auf den Reservationsleim gegangen. Wahrscheinlich haßt er Fisch in jeder Form; wahrscheinlich will er diese blöden Tedesci durch eine gestandene Eiweißvergiftung für weitere acht Tage an ihr überteuertes Doppelzimmer binden; wahrscheinlich gehören ihm bereits zwei der vier bronzenen Silbergabelmützen, die irgendein Michel ihn verliehen hat für das einmalige, durch beleuchtete Glasbausteine geschaffene Toiletten-Ambiente.
     Also geht man natürlich trotzdem rein - man ist ja reserviert. Natürlich führt der Einlaßverwalter die blöden Tedesci erstmal hintendurch die Treppe hoch in den ersten Stock, wo an ellenlangen Tischen grätenkauend fernöstliche Hundertschaften mit leerem Blick auf den zweiten Fischdurchgang hoffen, und erst nach intensivem Widerspruch parkt man uns widerstrebend in der eigentlichen Gaststube, wo der natürlich unfreundliche Ober bereits auf alles Mögliche, nur nicht auf uns gewartet hat.
     Natürlich bestellt man eine Flasche Wein und natürlich hat die Flasche Korken; natürlich nicht viel, sondern nur soviel, daß er zwar nach Moder schmeckt, der Ober aber sich zu behaupten traut, daß es sich keinesfalls um Korken, sondern um den ganz speziellen Geschmack dieses von seiner Rebenzusammensetzung her ganz besonderen Weines handelt. Natürlich. Woher sollen diese blöden Tedesci auch wissen, wie ein Regaleali schmeckt. Es würde schließlich auch reichen, wenn sie zahlen, ohne den Wein zu trinken.
     Inzwischen kriecht am Nebentisch, nehmen wir mal an ein Däne, über seinen vorspeisenpflichtigen Rughetta-Salat, der einen Ölwechsel hätte vertragen können, mit innigem „jäää“ zwecks Heiratsantrag oder anderer sinngemäßer Anliegen in seine Begleiterin hinein, während hinten schräg links eine tiefblonde was man so Dame nennt mit ihrem vermutlich kasachischen Leibwächter bereits die zweite Flasche Wodka in Zahnputzglas-Portionen zerlegt und abführt.
     Rom im Mai, eine Weltstadt voller Fremdlinge bei orkanartig auffrischendem Wetter, die sich, das Taschentuch vor den Atmungsorganen, gegen den heftigen Sandund Samensturm der Geschichte stemmen und ihre Allergien dem Papst anempfehlen.
 Bis dann die Fischsuppe kommt, in ihrer riesigen, tomatenrot schimmernden, langustenverhangenen Amphorenschale; so wie die kleinen Vongole in dem mächtigen imperialen Topf, so mögen die importierten Germanen-Sklaven sich gefühlt haben, so ohne Halt an der glatten Schüssel-Wand.
     Und doch, gerade wenn es nicht danach aussieht, also die Zeichen bereits schlecht stehen, melden sich die noch schlechteren Bilder. Da muß man einfach, und zwar mal weg, aber wohin? Im ersten Stock sitzt Asien, das tröstlich ebenso verhaßte, im Erdgeschoß ist alles dicht, da zeigt der Ober, dem die drei Minerale con Gaz nicht entgangen sind, in jene Richtung, die dem römischen Daumen so viel Freude macht: Hohoo! Ab in die Gewölbe.     
     Wenn es denn ein zweites Rom der Dachgärten gibt, dann gibt es ein drittes und viertes im Keller. Die steilen Steintreppen hinab tun sich mächtige, galeerenlange Stollen auf; geräumige Katakomben mit niedriggezogenen Rundbögen, heute gespenstisch leer, die deutschsprachigen Pauschal-Geleitzüge sind wohl noch in den Albaner Bergen unterwegs. Unüberschaubar tiefe Gefängnishöhlen mit Touristenbus-Kapazitäten, beidseitig numeriert: Tisch 241, Tisch 242, Tisch 243, und endlich, die Füße erlahmen fast auf dem einsamen Marsch, scharf rechts, ganz unten: Die Toilettina!
     Und hier nun, auf der Rückfahrt durchs Gewölbe, kommt es zur schicksalhaften Begegnung, kurz hinter der Einmündung des Nebenarmes in die breite Hauptader, Kurswechsel Nord-Nord-Ost: Plötzlich ein entgegenkommendes Objekt auf dem Radar, scheint älterer, zweifellos japanischer Bauart zu sein, offensichtlich abge driftet aus dem oberhalb gelegenen asiatischen Sektor, aber auf erkennbar gezielter Entsorgungsfahrt, nähern wir uns langsam, die Maschinengeräusche hallen uns voraus die Wände entlang und beginnen, sich mehr und mehr zu vermischen.
     Jetzt sind wir auf Schußweite. Die japanische Flagge ist deutlich zu erkennen, ein schicksalhafter Moment: Die Begegnung zweier alter Verbündeter im Gewässer einer womöglich vorchristlichen, zumindest aber unzuverlässigen Achsenmacht. Der Funkverkehr findet unverschlüsselt statt, wie beiläufig in der Sprache des alten, gemeinsamen Feindes:
     „Toilette – is - here?“ - „Yes there!“ - „Sank you!“ Kurzer Austausch von Grüßen aus dem nonverbalen Flottenrepertoire. Die Torpedorohre werden geschlossen, halbe Fahrt voraus, die Schraubengeräusche verhallen. Als ich wieder vor der Riesenkanne Zuppa di Pesce auftauche und mich in die Cozze wühle, steckt mir das Wort noch quer im Ohr: „Sank you!“ Keine Frage. Die japanischen U-Boote im Pazifik waren ebenso gefürchtet wie die deutschen im Atlantik. Nur wurde da der Fisch roh gegessen.
     Und wehe, man begegnet ihnen in Rom. Im Mai. Im Keller.
 
 
Aus dem Buch „Parmesanides“, Aachen 2003
Die Illustration stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.