„Davon glaube ich kein Wort!“

Albert Einstein in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
Albert Einstein in der Anekdote

 Von Ernst Peter Fischer

 
Der Mann des Jahrhunderts  (6)


Mehr Licht in sein Leben

Als die zivilisierte Welt am Ende des Ersten Weltkriegs auf das Ergebnis der Messungen wartete, mit denen überprüft werden sollte, ob Einsteins Vorstellungen von der Geometrie des Universums der Wirklichkeit entsprechen, wurde er gefragt, was seiner Ansicht nach passieren würde, wenn das Ergebnis vorläge. „Wenn ich mit der Relativitätstheorie recht behalte“, hat Einstein geantwortet, „werden die Deutschen sagen, ich sei Deutscher, und die Franzosen, ich sei Weltbürger. Erweist sich meine Theorie als falsch, werden die Franzosen sagen, ich sei Deutscher, und die Deutschen, ich sei Jude.“
       Wenn man fragt, woher Einsteins Fähigkeiten gekommen sind, so viel besser als andere die Geometrie der Welt erfassen zu können, kann man zwei Erfahrungen nennen, die er als Kind und Jugendlicher gemacht hat. Erst das Kind, über das Einstein in einer „Autobiographie“ von 1949 nach einleitenden Bemerkungen folgendes zu sagen hat:
       „Es ist mir nicht zweifelhaft, daß unser Denken zum größten Teil ohne Verwendung von Zeichen (Worte) vor sich geht und dazu noch unbewußt. Denn wie sollten wir sonst manchmal dazu kommen, uns über ein Erlebnis zu `wundern`? Ein Wunder solcher Art erlebte ich als Kind von 4 oder 5 Jahren, als mir mein Vater einen Kompaß zeigte. Daß diese Nadel in so bestimmter Weise sich benahm, paßte so gar nicht in die Art des Geschehens hinein, die in der unbewußten Begriffswelt Platz finden konnte. Da mußte etwas hinter den Dingen sein, das tief verborgen war.
[… ]
„Im Alter von 12 Jahren erlebte ich ein zweites Wunder ganz verschiedener Art: an einem Büchlein über Euklidische Geometrie. Da waren Aussagen, die mit solcher Sicherheit bewiesen werden konnten, daß ein Zweifel ausgeschlossen schien. Diese Klarheit und Sicherheit machte einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich.“
Und dann der Jugendliche: „Der normale Erwachsene denkt über die Raum-Zeit-Probleme kaum nach. Das hat er seiner Meinung nach bereits als Kind getan. Ich hingegen habe mich geistig derart langsam entwickelt, daß ich erst als Erwachsener anfing, mich über Raum und Zeit zu wundern. Naturgemäß bin ich dann tiefer in die Problematik eingedrungen als die normal veranlagten Kinder.“
       Tatsächlich hatten sich Einsteins Eltern bereits über späte Sprachentwicklung ihres Sprösslings Sorgen gemacht, weil der kleine Albert wenig Neigung zum Reden zeigte. Er war fast vier Jahre alt, als er seine ersten Worte sagte, um sich zu beschweren, „Die Milch ist zu heiß.“ „Aber Albert“, rief seine Mutter, „warum hast Du denn bis jetzt nichts gesagt?“ „Bis jetzt war doch alles in Ordnung und auch die Milch nicht zu heiß“, kam die Antwort*.
       Aus diesen Geschichten ist zu ersehen, daß Einstein nicht nur ein Meister seiner Wissenschaft, sondern auch ein Meister seiner (deutschen) Sprache war, und es lohnt sich deshalb, seine Formulierungen ganz langsam aufzunehmen, um sie und ihn zu verstehen, auch wenn sie beim ersten Hören oder Lesen sperrig wirken. In seinem Wunderjahr 1905 beschreibt Einstein zum Beispiel seine später mit Nobelehren ausgezeichneten Überlegungen über „die Erzeugung und Umwandlung des Lichts“. Er schlägt vor, die jahrhundertealte Auffassung, Licht breite sich kontinuierlich als Welle aus, durch die erstaunliche Annahme zu ergänzen, die Energie des Lichts bestehe aus „in Raumpunkten lokalisierten Energiequanten, welche sich bewegen, ohne sich zu teilen“ und die sich dadurch auszeichnen, „nur als Ganzes absorbiert und erzeugt werden können.“
       Schon wahr, ein kniffliger Satz, den man mehrfach lesen sollte, aber diese Worte sind zu recht als der „revolutionärste“ Satz bezeichnet worden, der je von einem Physiker des 20. Jahrhunderts zu Papier gebracht wurde, und dieses starke Attribut stammt von dem sprachmächtigen Einstein selbst, weshalb seine physikalische Einsicht zur sorgfältigen Lektüre empfohlen wird. Mit diesen „in Raumpunkten lokalisierten Energiequanten, welche sich bewegen, ohne sich zu teilen“ und die heute Photonen heißen, beginnt für Einstein ein fünfzigjähriges Nachdenken über die Frage, „Was ist Licht?“. Es bleibt vergeblich, und er kommt dem Geheimnis des Lichts nicht näher. Kurz vor seinem Tod 1955 gibt er endgültig auf, wie er seinem Freund Michele Besso schreibt, um hinzuzufügen, „Heute meint zwar jeder Lump, er verstehe, was Licht ist, aber er irrt sich.“
       Noch einmal zur Sprache: Einstein war ein Meister in dieser Kunst, und er hat sogar eine kleine Sammlung von Aphorismen geschrieben. Sie sind Leo Baeck gewidmet, dem charaktervollen Führer des deutschen Judentums im 20. Jahrhundert, und sie finden sich in Mein Weltbild. Hier finden sich einige wunderbare Sätze:
Etwa, „Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein.“ Oder: “Wer es unternimmt, auf dem Gebiet der Wahrheit und der Erkenntnis als Autorität aufzutreten, scheitert am Gelächter der Götter.“ Und weiter: „Die Majorität  der Dummen ist unüberwindbar und für alle Zeiten gesichert. Der Schrecken der Tyrannei ist indessen gemildert durch Mangel an Konsequenz.“
In Einsteins Aufsätzen finden sich immer wieder Sätze, die es lohnt, auswendig zu können, um sie sich beim Spazierengehen immer wieder in Erinnerung zu rufen. In einem Text über „Geometrie und Erfahrung“ heißt es zum Beispiel: „Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.“
Einstein hat sowohl Anlaß, die Wissenschaft zu loben – „Wenn auch die Öffentlichkeit den Einzelheiten der wissenschaftlichen Forschung nur in bescheidenem Maße folgen kann, so hat sie doch ein Großes und Wichtiges gewonnen – das Vertrauen in die Sicherheit des menschlichen Denkens und in die Gesetzlichkeit des Naturgeschehens“ – als auch Grund, Aspekte von ihr zu kritisieren: „Mancher Wissenschaftler kommt mir vor, als suche er in einem Brett den dünnsten Fleck und bohre dann durch diese ohnehin schon dünne Stelle möglichst viele Löcher. So entstehen seine wissenschaftlichen Abhandlungen.“
Er weiß genau: „Ein Wissenschaftler ist eine Mimose, wenn er selbst einen Fehler gemacht hat, und ein brüllender Löwe, wenn er bei einem anderen einen Fehler entdeckt.“
 
* (Anm.d.Red.:nicht verbrieft)
 
© Ernst Peter Fischer