Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 13

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski
Michael Zeller
 
Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Corona-Logbuch Folge 13
 
Ein Königreich für ein Lächeln!
 
Eine der herbsten Einbußen, die wir der chinesischen Fledermaus verdanken, ist für mich der Verlust des Lachens und des Lächelns – wenn Personen, die sich nicht kennen, durch die Vollzüge des Alltags einander in die Quere kommen, in Geschäften, im Bus, auf der Treppe, der Bank, bei der Pizza, im Kaffeehaus. Störend manchmal, ärgerlich – oder zu überraschender Freude – je nach Stand der Sterne, der Sonne oder der eigenen werten Laune. Die gängige Münze bei diesen unfreiwilligen, spontanen Kontakten ist das Lächeln, garniert mit einem Augenzwinkern, einem Wort vielleicht noch oder zweien - sogar, wenn du Glück hast, mit einem kleinen Plausch.
Danach geht man weiter und freut sich, innerlich leicht angewärmt, seines Tages. Auch in den unerfreulichen Fällen von Begegnungen dieser Art, wenn man mit Aggressivität zu kämpfen hat, fremder wie eigener, kann dieses Lächeln die schädliche Luft aus der meist lächerlichen Konfrontation rauslassen, und die Nichtigkeit bleibt auf sich beruhen, je nach Stand der Sterne, der Sonne oder der eigenen werten Laune.

Dieses Lächeln zwischen den Menschen ist – noch vor jedem Wort – ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Kommunikation im Gedräng des Alltags. Es ist eine ganz wesentliche Schmiere gesellschaftlichen Lebens.  Wehe, diese Schmiere ist aufgebraucht. Dann knirscht es im Getriebe, wie Metall auf Metall.

Und genau dieses Lächeln fehlt uns allen, seit langem. Vollkommen hilflos komme ich mir vor, wie ein Stummer, wenn ich mich nicht, bei wem auch immer, für eine kleine Höflichkeit, ein Zuvorkommen bedanken kann. Aus schierer Dankbarkeit, für diesen Glücksmoment des Lebens. Je winziger, umso kostbarer. Jetzt aber habe ich eine Maske vorm Gesicht und damit vor der Miene. Meine Mitteilungsmöglichkeit ist ganz erheblich eingeschränkt. Ich empfinde mich als einen emotionalen Krüppel. Auch meine Worte, auf die ich mir doch einiges zu Gute halte – nein, meine Worte schaffen es nicht annähernd, diese schmerzliche Lücke zu schließen, diesen Riß zwischen den Menschen.

Gut, auch Augen können lachen, und wahrlich nicht zu knapp. Doch kann man immer damit rechnen, daß uns jemand in die Augen schaut? Da wird’s oft schon kompliziert. Nur das Lächeln um den Mund hat diese anstrengungslose Beiläufigkeit, die niemanden mit einen zweiten Hinschauen überfordert. Die schnelle Wechselmünze, für den flüchtigen Gebrauch.
Bis ich gestern Elli traf, in meinem Stammcafé. Dort hole ich mir, seit (fast) alles geschlossen ist, regelmäßig nachmittags meinen Becher Kaffee, zur Aufmunterung beim zweiten Arbeitsgang. Gestern stand wieder mal die Chefin höchstselbst hinter der Maschine, und um sie herum drehte die kleine Elli auf runden Beinen ihre Kreise.

„Wie gut sie schon gehen kann“, lobte ich stellvertretend die Mutter. Denn Elli versteht mich ja noch nicht mit ihren zweieinhalb Jahren. Dabei kenne ich sie schon eine ganze Weile, auch noch im Bauch der Mutter. Sie hält sich wirklich wacker auf ihren Beinchen, das weißgelbe dünne Haar hinten noch vom Mittagsschlaf verklebt. Ich kann nicht anders, als sie anzustrahlen, und ärgere mich über diese blöde Maske. Doch Wunder über Wunder: Elli lacht mich ebenfalls breit an mit ihren drei Zähnen oben und wirft mir ein Winke-Winke zu.
Ich bin baff, stehe sprachlos da.

„Wie kann sie denn mein Lachen erkennen, hinter der Maske?“, frage ich die Mutter.
„Sie sieht das Lachen deiner Augen“, sagt sie. „Das kann sie schon. Sie hat ja nichts anderes erlebt … „
Auf dem Nachhause-Weg, den heißen Kaffeebecher durch die Straßen des Winters balancierend, rührt sich in meinem Kopf so mancherlei.
 
 
© 2020 Michael Zeller für die Musenblätter