Die Rumpelstilzchen-Rehabilitation

von Erwin Grosche

Thomas Schleusing pinx.
Die Rumpelstilzchen-Rehabilitation
 
Es war einmal ein kleiner Mann mit Namen Rumpelstilzchen. Rumpelstilzchen lebte in einer kleinen Stadt und war aufgrund seines seltsamen Aussehens bekannt wie ein bunter Hund. Wenn sich Rumpelstilzchen im einzigen Gastlokal der Stadt, „Zum Königshof“, sehen ließ, und er ließ sich dort oft sehen, so riefen immer alle Trunkenbolde und Spaßmacher: „Schaut mal, dort kommt Rumpelstilzchen, der alte Spinner.“
     Rumpelstilzchen war ein älterer Mann mit einer überragenden Allgemeinbildung und er grämte sich sehr, wenn der Volksmund über ihn herfiel und wäre deshalb am liebsten vor Scham in den Boden gesunken, so peinlich waren ihm diese Anpöbeleien. Einmal umwarb Hannelore König, die Frau von Fritz König, ihren letzten Gast, Herrn Rumpelstilzchen. Sie waren allein im Gasthof und des Königs Frau betrunken und wie immer in allem unersättlich. Sie gestand später ihrem Mann diesen Vorfall und stellte das Ganze als eine geplante und üble Aktion von Herrn Rumpelstilzchen hin, und fügte abschließend hinzu: „Es wär gut, wenn niemand wüßte, dass ich Rumpelstilzchen küßte.“
     Hannelore König bekam bald einen Jungen, den sie auf den Namen „Niemand“ taufen ließ und der dem kleinen Rumpelstilzchen glich wie ein Ei dem anderen. Herr König verzieh seiner boshaften Frau, und beide hielten es für besser, dem Jungen nichts von der Existenz des verführerischen Unholdes zu erzählen. Rumpelstilzchen erteilten sie auf Lebenszeit Lokalverbot im „Königshof“, die schlimmste aller Strafen, und enttäuscht von Gott und der Welt zog sich Rumpelstilzchen in einen kleinen Wald zurück.
     Eines Tages kam Niemand nach dem Spiel mit Freunden durch diesen Wald und suchte eine Abkürzung zu dem elterlichen Gasthof. Niemand mied sonst diesen kleinen dunklen Wald und war er erstaunt, als er plötzlich auf einer Lichtung einen kleinen tanzenden Mann sah, der laut dieses Liedlein grölte: „Ach, wie gut, dass Niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß.“ Da wußte Niemand, daß er vor seinem leibhaftigen Vater stand. Niemand ging zu seinem Vater. Niemand umarmte Rumpelstilzchen und sagte: „Wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch heute“, und wie diese Geschichte weitergehen wird, das erzählt Niemand.
     Aber so war das und nicht anders.
 
© Erwin Grosche
(aus: „Vom großen G und kleinen Glück“)
 
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