Das Besteck

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Das Besteck

Also im Großen und Ganzen
Bin ich glaub ich formal ganz gut drauf
Wie das im Kleinen und Halben ist weiß ich nicht
Aber ich hoffe daß ich auch da einigermaßen …
Also ich will damit folgendes loswerden:
Was die sogenannten Anstands- und Wohlstandsformen
Bei Tisch betrifft
Bin ich vom Handstand auf dem Tisch noch weit entfernt
Obwohl ich an einigen Resten von purem Unwissen noch zu
arbeiten habe
Ungern aber doch der Sache und der Gesellschaft wegen
Muß man ja nicht den Teil der Suppe den man nicht mehr
Mit dem Löffel erwischt
Dann in sich hineinschütten indem man den Teller beidseits
Mit den Händen zum Munde führt also den Teller leertrinkt
Obwohl mir eine gute alte Freundin das im Cocque d'Or in Bern
Vor Jahren mehrere Male vorgeführt hat
Und auch betonte daß das nach dem Sonnenkönig völlig
Rechtens sei
Lassen wir das!
Meine Frau die geduldige Penelope unserer Zeit
Hat schon seit vielen Jahren das Messer für mich eingeführt
Also nicht daß sie es mir zwischen die Rippen steckt
Sie sagt nur: Es gibt auch ein Messer! Das genügt
Und hol den Arm unter dem Tisch hervor!
Ich wehre mich und sage
Das ist amerikanische Eat-Art
Bei uns sagt meine Frau dann ißt man mit Messer und Gabel
Wir sind ja keine Siedler mehr und was du mal bei der Überfahrt
Auf der „Mayflower“ damals gesehen haben magst
Mußt du ja jetzt hier nicht weiter praktizieren
Ja M'am sage ich dann verlegen
Bewußt den Methodisten-Zögling spielend
Aber du mußt zugeben fahre ich fort
Daß du solche Sätze wie die von eben bei mir gelernt hast
Ätsch!
Tischsitten
Sage ich Ihnen
Sind bei mir ein rotes Handtuch
Das mit dem Besteck kann ich ja inzwischen einigermaßen
In einem Restaurant allerdings
Da liegt doch immer auf dem Tisch so eine silberne Platte
Als wenn der Tisch eine Kopfverletzung hätte
Da stehen zwei Teller drauf
Und dann schießen aus vier Ecken vier Herren in Dunkel auf
Einen zu
Und ich denke dann immer daß zwei Herren davon Polizisten in
Zivil sind
Und die sehen sich verständigend an und sagen vielleicht:
Das ist er
Weil die immer so gezielt auf einen zu kommen
Aber es sind nur die vier Herren die nun die vier trojanischen Helme
Gleichzeitig von den Tellem hochziehen
Und alles schreit Ah und Oh wie beim Feuerwerk
Und auf jedem Teller liegt eine kleine glasierte Möhre
Wie sagte man früher: Ondulierte Kusine von Cuisine Nouvelle
Ich hab immer schon mal versucht
Sonen trojanischen Helm mit nach Hause zu kriegen
Mal gucken
Vielleicht kann ich mal einen Ober bestechen
Mit dem Besteck da bin ich jetzt einigermaßen fit drin
Weil meine Frau so lange und wirklich ungemein geduldig mit mir
Daran gearbeitet hat
Und zwar hat sie gesagt: Das ganze Geheimnis besteht darin
Daß man von außen nach innen vorgeht
Da liegen doch an jeder Seite vom Teller die Bestecke
Und dann fängt man außen
Immer außen mit den Geräten an bis alles aufgebraucht ist
Was da vor dem Teller liegt das geht dich vorerst gar nix an
Aber hat sie gesagt
Ich hab dich neulich mal beobachtet
Da hast du für die Vorspeise gleich die große Gabel
Genommen
Ich hab gedacht: Sach ma nix
Er muß es lernen Learning by doing!
Und ich hab gesagt
Ich wills auch nie wieder tun.


Hanns Dieter Hüsch
 

© Chris Rasche Hüsch
Veröffentlichung aus „Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.