Urlaubsland DDR

Daniela Spiegel – „Urlaubs(t)räume des Sozialismus“

von Frank Becker

Urlaubsland DDR
 
Zur Geschichte der Ferienarchitektur in der DDR
 
Sozialwissenschaftler, Ethiker und Philosophen stehen nicht erst heutzutage im Diskurs zu der Frage, ob der von Gewerkschaften erkämpfte Urlaub das verbriefte Recht der arbeitenden Bevölkerung sei, ob er als Belohnung zu betrachten sei, welchen Umfang er haben muß und was ein solcher Anspruch möglicherweise beinhalte. Die gewaltig gewachsene Reisebranche, die derzeit aufgrund der Corona-Reisebeschränkungen enorme Einbußen erlebt und staatlich gestützt werden muß, mischt seit dem von ihr initiierten Wandel des individuellen Reisens zu einem Massenauftrieb natürlich heute kräftig mit. Und da sind dann natürlich auch die Urlauber selbst, die sich heute zu jeder Jahreszeit erschwingliche Reisen in alle Welt kaufen können.
 
Wie es in Sachen Urlaub und Reise und vor allem in der staatlich gelenkten Ferien-Architektur in den knapp 45 Jahren des sozialistischen Staates DDR ausgesehen hat, hat Daniela Spiegel in ihrer brillanten Studie „Urlaubs(t)räume des Sozialismus“ untersucht, die im Verlag Wasmuth und Zohlen erschienen ist. Und da fällt bereits auf den ersten Blick auf, daß der staatlich organisierte, amtlich geregelte, sozialistisch eingeteilte Urlaub in der DDR in unmittelbarer Nachfolge der Kraft durch Freude-Organisation (KdF) des Nationalsozialismus stand. Wie damals im 3. Reich rüsteten die Machthaber Schiffe für Seereisen aus, boten für die arbeitende Bevölkerung, die VEB, den FDGB und das Militär organisierte Reisen an und bauten vor allem weitläufige Bungalow-Ferienanlagen ebenso wie große Hotelkomplexe in bevorzugten Reisegebieten wie Ostseeküste, Erzgebirge, Thüringer Wald, Harz, den vielen idyllischen Binnengewässern und anderen landschaftlich reizvollen Gegenden.
 
In der DDR, die den Urlaubsanspruch für Werktätige bereits mit ihrer Staatsgründung 1949 gesetzlich festlegte, wurde der Urlaub von Beginn an als ein systemstabilisierender und -legitimierender Faktor erkannt und staatlich gesteuert. Als elementarer Bestandteil der sozialistischen Lebenswelt sollte er – in deutlicher Abgrenzung zur westlichen Deutung – keinesfalls als Flucht, sondern im Gegenteil als Ergänzung zu Alltag und Arbeitswelt der DDR-Gesellschaft begriffen werden. (…) Die Autorin geht der Frage nach, wie der sozialistische Staat, für den die erzieherische Funktion von Architektur und Städtebau stets von zentraler Bedeutung war, den räumlichen, architektonischen und kulturellen Erlebnisrahmen des staatlich gesteuerten Urlaubs konstruierte und gestaltete. (Verlagstext)
 

Oberhof, Interhotel Panorama © Auslese Bildverlag 1971 - Archiv Musenblätter

Die dafür aufgebotene Architektur schuf nicht nur wie vielerorts seelenlose Plattenbau-Klötze und landschaftlich unangepaßte Betontürme, sondern zeigte sich mit Blick auf die kapitalistischen Nachbarn und die sozialistischen Bruderstaaten experimentierfreudig mit Anlagen wie z.B. dem Interhotel „Panorama“ in Oberhof und seinem geplanten Pendant in Oberwiesenthal, individuell gestalteten Ferienheimen wie in Schöneck (FDGB), Schöna und Waldau (FDGB) oder leichtfüßig wie bei Ferienanlagen in Ahlbeck, Boltenhagen und Klink. Wie begehrenswert Plätze in diesen Hotels, Ferienheimen oder auch organisierten Camping-Anlagen waren, wissen wir aus der Geschichte.
Auch der nicht immer geschmackssicheren Innenarchitektur widmet die Verfasserin ein Kapitel, das vor allem in den 70er Jahren geschaffene Scheußlichkeiten wie das Holzrelief im Spesesaal des FDGB-Ferienheims „August Bebel“ in Friedrichsroda, den Edelstahl-Raumteiler der Eingangshalle des FDGB-Ferienheims „Am Fichtelberg“ in Oberwiesenthal oder manche erschlagende Wandgestaltung in Restaurants, Bars und Lobbys zeigt.
 
Mit reichem Bildmaterial aus staatlichen Archiven, Postkartenverlagen und -archiven, Architekturzeitschriften und vielen anderen Quellen versehen, verschafft Daniela Spiegel dem interessierten Leser einen umfassendes Bild der Geschichte der Ferienarchitektur in der DDR. Der umfangreiche Anmerkungsapparat gibt dazu wertvolle Aufschlüsse. Daniela Spiegel hat mit diesem Band, dem leider ein Index fehlt, ein sehr empfehlenswertes Standardwerk zum Thema vorgelegt.


Klink, FDGB-Siedlung Völkerfreundschaft - © 1970  Bild und Heimat - Archiv Musenblätter
 
Daniela Spiegel – „Urlaubs(t)räume des Sozialismus“
Zur Geschichte der Ferienarchitektur in der DDR
© 2020 Wasmuth & Zohlen Verlag
ISBN: 978 3 8030 2105 2
58,- €